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Der Rausch einer Nacht

Titel: Der Rausch einer Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith McNaught
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von dem ersten Beispiel, das ihm in den Sinn kam: »Vor zehn Jahren habe ich wie mit Engelszungen auf ihn eingeredet, seine Ranch aufzugeben und nach Dallas zu ziehen. Kurzum, er hat sich beharrlich geweigert. Die folgenden fünf Jahre habe ich ihn dann davon zu überzeugen versucht, sich auf der Ranch ein schönes neues Haus zu bauen. Aber er meinte, das alte sei noch gut genug und ein neues nur Geldverschwendung.
    Zu jener Zeit hatte er mindestens schon fünfzig Millionen auf der Bank, lebte aber immer noch in der zugigen Bude, in der er bereits das Licht der Welt erblickt hatte.
    Vor zwei Jahren hat er sich entschlossen, seinen ersten richtigen Urlaub anzutreten. Es war übrigens auch sein letzter, viel zu teuer, wie Sie sich denken können. Sechs Wochen war der gute Mann fort, und in der Zeit habe ich einen Bauunternehmer beauftragt. Der rückte mit einer Armee von Zimmerleuten und anderen Handwerkern an und hat auf der Westseite der Ranch ein wunderschönes Anwesen errichtet.« Cole hatte alles in seiner Aktentasche verstaut und erhob sich. »Wissen Sie, wo Cal heute lebt?«
    John hörte den ironischen Unterton heraus und gab daher die richtige Antwort: »Immer noch in der zugigen _ Bude?«
    »Richtig.«
    »Was treibt er denn so ganz allein in seinem Geburtshaus?«
    »Na ja, so ganz allein ist er nicht. Schon seit Jahrzehnten lebt eine Haushälterin bei ihm, und er beschäftigt ein paar Rancharbeiter, die ihm zur Hand gehen. Und wie verbringt er seine Zeit? Nun, die eine Hälfte vom Tag streitet er sich mit den Arbeitern herum, weil sie nicht alles so tun, wie er sich das vorstellt, und die andere Hälfte liest er. Das war immer schon seine Lieblingsbeschäftigung. Er verschlingt tonnenweise Bücher.«
    Diese letzte Auskunft paßte so gar nicht in das Bild, das der Buchhalter sich von dem Großonkel gemacht hatte. Als jemand, der von der Ostküste kam, hegte er natürlich einige Vorurteile gegen Texaner. »Was liest er denn?«
    »Alles, was ihm in die Finger kommt. Wenn ihn ein Thema besonders interessiert, und davon hat es in seinem Leben eine Menge gegeben, besorgt er sich soviel wie möglich darüber. Solche >Phasen< halten in der Regel drei oder vier Jahre an, und in der Zeit studiert er alles darüber, dessen er habhaft werden kann. Irgendwann hat er einmal ein besonderes Faible für Biografien über berühmte Feldherren und Kriegshelden entwickelt und dann über buchstäblich jeden gelesen, vom frühesten Altertum bis in unsere Zeit.
    Danach war, glaube ich, Mythologie an der Reihe, gefolgt von Psychologie, Philosophie, Geschichte, Western und schließlich Krimis.«
    Cole hielt einen Moment inne und notierte sich etwas in seinem Schreibtischkalender, ehe er fortfuhr: »Seit einem Jahr sind Magazine und Illustrierte seine große Leidenschaft. Er liest sie alle, vom GO über den Playboy bis zu Ladies' Home Journal und zur Cosmopolitan. Cal meint, diese Zeitschriften stellen die ehrlichste Wiedergabe des kollektiven Zustands dar, in dem sich unsere moderne Gesellschaft befindet.«
    »Tatsächlich?« entgegnete John vorsichtig und hoffte, sich nichts von seinem Unbehagen über die exzentrischen und obsessiven Vorlieben sturer alter Millionäre anmerken zu lassen, die dummerweise über enorme Anteile an Unified Industries verfügten. Und die in einem Anfall von Altersstarrsinn wie ein Sturmwind in Unifieds komplexe Strukturen von Verträgen und Unterverträgen, Jointventures und begrenzten Partnerschaften fahren konnten. »Hat Ihr Onkel denn aus diesen Magazinen schon irgendwelche Lehren über den Zustand unserer Welt ziehen können?«
    »Allerdings.« Cole lächelte ihn ironisch an, warf noch einen Blick auf seine Uhr und machte sich auf den Weg zur Tür. »Laut Cal hat meine Generation auf flagrante Weise alle Regeln und Gebote der Moral, der Menschenwürde und der Ethik gebrochen und sich darüber hinaus von der persönlichen Verantwortung verabschiedet. Des weiteren haben wir uns schuldig gemacht, eine Generation von Kindern heranzuziehen, die von diesen Regeln und Geboten nicht einmal eine Vorstellung hat. Kurz zusammengefaßt glaubt Cal, aus der Lektüre seiner Illustrierten schließen zu müssen, daß es mit Amerika drastisch abwärts geht. Genauso wie schon vor Zeiten die Zivilisationen der Griechen und der Römer, obwohl sie doch große Reiche aufgebaut hatten, schließlich an Wertemangel eingegangen sind. Damit wir uns nicht falsch verstehen, ich gebe hier nur die Worte meines Onkels wieder.«
    John

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