Der Rausch einer Nacht
schnappen.«
»Dann gehe ich halt mit dir auf den Balkon«, erbot sich der junge Hayward.
»Nein, danke. Bitte, Doug, ich muß einfach für einen Moment allein sein.«
»Also gut, wenn du meinst, daß du das jetzt brauchst«, entgegnete er leicht frustriert. »Bleib aber nicht zu lange«, fügte er noch hinzu und verschwand dann in Richtung Ballsaal.
Diana drehte sich um und lief zu einer Tür mit der Aufschrift EXIT.
Cole hatte genug Erfahrungen mit Frauen gesammelt, um zu wissen, wann jemand kurz vor einem Tränenausbruch stand. Da Diana Doug erklärt hatte, allein sein zu wollen, sagte er sich, daß auch er sie nicht dabei stören durfte.
Er wollte sich gerade ebenfalls in den Saal begeben, als ihm eine alte Erinnerung wieder ins Gedächtnis kam. Diana hatte ihm einmal von ihrem Sturz von einem Pferd erzählt.
»Ich habe gar nicht geweint... Nicht einmal, als ich mir das Handgelenk gebrochen hatte und Dr. Paltrona es richtete.«
»Nicht ein kleines bißchen?«
»Nein.«
»Nicht einmal eine Träne?«
»Keine einzige.«
»Dann sind Sie aber sehr tapfer.«
»Eigentlich nicht«, seufzte sie, »ich bin nämlich vorher in Ohnmacht gefallen.«
Als Kind hatte sie tapfer alle Tränen zurückgehalten, aber heute abend war sie als Erwachsene wahrscheinlich so furchtbar verletzt, daß sie sich nicht länger zurückhalten konnte.
Cole zögerte und fühlte sich hin und her gerissen zwischen seinem männlichen Instinkt, der ihm gebot, sich aus allem herauszuhalten, und einem kaum erklärbaren Drang, ihr Trost und seine Schulter anzubieten.
Letzterer Impuls setzte sich schließlich durch, und Cole schritt langsam, aber zielsicher auf die Ausgangstür zu und besorgte auf dem Weg dorthin zwei Gläser Champagner. Eins für sich und eins für sie.
Kapitel 20
Niemand hielt sich auf dem langen, schmalen Balkon auf. Ein paar flackernde Gaslampen verbreiteten kleine Lichtkreise und ließen den Rest in Finsternis zurück. Für Dianas trübe Stimmung war dieses Halbdunkel genau das Richtige und den Lichtern und Dekorationen im Hotel entschieden vorzuziehen. Außerdem ersparte sie sich hier draußen die schmerzliche Ironie, sich vom Orchester >If I Would Ever Leave You< anhören zu müssen.
Diana wollte auch niemandem begegnen, der sich ebenfalls entschlossen hatte, hier draußen frische Luft zu schnappen. So wandte sie sich nach rechts und lief immer weiter, bis sie das Ende des Balkons erreicht hatte. Sie lehnte sich an die Balustrade, preßte die Hände an den kühlen weißen Stein, ließ den Kopf hängen, betrachtete die Finger und stellte fest, wie nackt ihre Linke ohne Dans Verlobungsring aussah.
Zwei Stockwerke unter ihr zog sich eine helle Girlande von Laternen an dem baumbestandenen Boulevard vor dem Hotel dahin. Doch Diana war dafür blind und nahm nichts außer der schrecklichen Leere in sich wahr. In den letzten Tagen hatte ihre Stimmung zwischen lethargischer Hilflosigkeit und plötzlichen Ausbrüchen von wütender Energie hin und her geschwankt. Dann hatte sie sich mit den sinnlosesten Dingen beschäftigt, um nicht mehr an ihre Trübsal denken zu müssen.
Dennoch kehrte ihr regelmäßig ins Bewußtsein zurück, daß Dan verheiratet war. Diese grausame Wahrheit konnte sie einfach noch nicht verarbeiten. Mit einer anderen vermählt. Dabei hatten er und sie noch letzten Monat darüber gesprochen, den White Orchid zu besuchen. Dan hatte sie mehrmals darum gebeten, ihm einen Platz am Tisch der Familie freizuhalten.
Auf der Straße unten kreischten Bremsen, und ein ohrenbetäubendes Hupkonzert setzte ein. Diana wurde aus ihren Gedanken gerissen und machte sich schon auf das Geräusch von gegeneinander krachendem Metall und zersplitterndem Glas gefaßt. Als sie über die Brüstung blickte, stellte sie fest, daß es zu keinem Zusammenstoß gekommen war. Sie wollte gerade den Blick wieder abwenden, als ein schwarzes Mercedes Cabrio herangefahren kam. Das gleiche Modell wie Dans Wagen. Der Wagen blinkte nach links, um in die Tiefgarage des Hotels abzubiegen.
Eine schreckliche Sekunde lang glaubte Diana, Dan sei tatsächlich erschienen. Und in diesem kurzen Moment kam ihr sein Auftauchen auch plausibel vor. Er kam, um mit ihr zu reden, sich zu entschuldigen und ihr zu erklären, daß alles ein unglaubliches Mißverständnis sei.
Doch dann holte die Wirklichkeit sie wieder ein. Beim Näherkommen erkannte sie, daß der Mercedes nicht schwarz, sondern dunkelblau war. Und am Steuer saß nicht Dan, sondern ein
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