Der Rebell - Schattengrenzen #2
so stark, dass es einem Reizschmerz gleichkam.
Er wollte etwas unternehmen, musste etwas bewegen, dringend, jetzt mehr denn je. Das Gefühl, alle Puzzleteile vor sich liegen zu haben, aber den Anfang nicht zu finden, störte ihn. Wenn er sie doch endlich zusammensetzen könnte … Langsam stieg seine Aggression. Das war vielleicht nicht gut, half aber gegen die lähmende Untätigkeit, der er nach und nach erlag. Er ballte die Fäuste und entspannte sie wieder.
Sein Blick strich über die aufgefächerten Unterlagen, Ordner, Briefe, Alben, Bücher und Bilder. Selbst mit zwanzig Leuten würde sich hier kaum Ordnung und Logik hineinbringen lassen. All das war so persönlich. Damit breitete sich ein Leben vor ihnen aus – nein, nicht ein einziges, viele.
Die Vergangenheit der ganzen Familie mit ihren Höhen und Tiefen sammelte sich hier. Wie konnte ein Außenseiter, Amman Aboutreika , hierin Fuß fassen? Das war eigentlich vollkommen unmöglich. Trotz allem stand er in engem Kontakt mit Walter, gerade so, als wolle er etwas von ihm. Erkaufte er Walters Gunst, oder erzwang er sie?
Oliver wippte nachdenklich auf und ab. Die Blicke aller bohrten sich in ihn. Sie warteten. Auf was? Sollte er etwa den Anfang machen? Was sollte er sagen?
Unsicher richtete er sich auf.
»Was wollt ihr hören?«
George faltete die Hände im Schoß und legte den Kopf schräg.
»Was hast du mit Aboutreika besprochen?«
Unfair, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten.
Georges Blick bohrte sich in seinen. Hatte er ihn falsch eingeschätzt? Möglicherweise stand er im Rang über Matthias? Na ja, als Einsatzleiter sollte er das wohl. Er hatte ohnehin den Überblick verloren, welcher Beamte zu welchem Kommissariat zählte und wer wen unterstützte. In jedem Fall befasste sich ein umfangreiches Team mit den Fällen … Eins? Mehrere. Organisiertes Verbrechen und Bandenkriminalität, aber auch Kapitalverbrechen, also die Mordkommission.
Warum arbeiteten sie gleichzeitig an dem Fall seines Vaters und dem seines Großvaters, obwohl es augenscheinlich keine Deckung gab?
Oliver musterte George. Sein Gesicht glich einer perfekten Maske. Wo begann bei ihm das auf Fakten basierende Wissen und wo die Vermutung? War er Einsatzleiter, Kindermädchen, Techniker und Ermittler in einem? Welchen Fall verfolgte er und wo driftete er in den Bereich der Parapsychologie – die er wie selbstverständlich hinnahm? Olivers Nervosität wandelte sich in unbestimmten Ärger.
»Was ich mit ihm besprochen habe?« Oliver zuckte die Schultern. »Können Sie sich das nicht denken, Herr George?«
Die Herausforderung verpuffte an der Gelassenheit des Kommissars. Er machte lediglich eine auffordernde Geste.
»Amman hat angeblich nach uns gesucht, nachdem er bei Walter niemand angetroffen hat. Die Begegnung sei aber rein zufällig zustande gekommen.« Er wandte sich zu Micha. In der Mimik des Jungen lag Unverständnis.
»Er sprach davon, beim Notar gewesen zu sein.« Mit einer Hand beschrieb Oliver einen unbestimmten Kreis. »Irgendwo hier in der Schönen Aussicht.«
Daniel knurrte ärgerlich. »Klingt ziemlich fadenscheinig.«
»Damit sind wir hier nicht mehr unbemerkt.«
Georges Worte waren unnötig. Dessen waren sie sich alle bewusst.
»Stand nicht von Anfang an fest, dass ihr uns vor der eigentlichen Gefahrenquelle nicht schützen könnt?« Demonstrativ sah Oliver nach oben. »Vor Erscheinungen schützt uns nichts. Das hier ist doch nur eine Farce, um Roth und eure Chefs zu täuschen …«
»Nicht ganz, Olli.« Kopfschüttelnd richtete Daniel sich auf. Opa rutschte von seinem Bein.
»Was sonst?«
» Aboutreika ist für Bernd und Matthias immer noch Hauptaugenmerk, während wir, Lukas, Gregor, Irene und ich, uns um die Morde in deiner Familie kümmern. Die Gefahr, die von Amman Aboutreika ausgeht, ist groß …«
»Sie hat aber nichts mit dem Wesen zu tun, dass Chris das Leben aus dem Körper pressen wollte.«
In der Mimik seines Freundes zuckte kein Muskel. »Entschuldige.« Oliver stützte sich wieder auf die Sessellehne. »Ich will dich nicht angreifen, aber es scheint allgemein bekannt zu sein, dass wir ein Problem mit übersinnlichen Gestalten haben. Trotzdem kehrt ihr es unter einem Vorwand unter den Teppich, gebt mit Amman allem einen realen und handfesten Anstrich.« Er schüttelte den Kopf. »Das funktioniert so nicht. Die Wahrheit ist, dass ihr drei lose Enden habt. Amman, der unsere Eltern für seine Geschäfte benutzt hat, den Mord
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