Der Rebell - Schattengrenzen #2
drin. Die klamme Kälte würde ihn augenblicklich verraten.
Aboutreika lächelte. »Dafür nicht, Oliver. Ich will dich nur wieder lächeln sehen.«
Oliver senkte den Blick. Ruhig bleiben, nicht nervös werden.
Aboutreika drückte herzlich seine Schulter. Die Berührung war warm und widerwärtig.
Hinter seinen Schläfen pochte es.
»Können wir später reden?«
»Sicher, mein Junge.«
Ich bin nicht dein Junge, du Penner.
Oliver senkte den Blick. Er konnte es auf seine Situation schieben, die Trauer. Das entschuldigte vielleicht sein unpersönliches Verhalten. Er vermied es, Amman anzusehen, als er den Gang durchschritt.
An der Tür schlossen sich Weißhaupt, Roth und Matthias an. Eine ihm unbekannte, große, blondierte Frau wuchtete ihren unförmigen Körper aus der Sitzreihe. Oliver musterte sie einen Moment lang. Sie musste mindestens Anfang sechzig sein. Das Leben hatte ihr definitiv nicht geschmeichelt. In ihrem leicht geschminkten Gesicht lag viel Leid. Tiefe Linien hatten sich um Mund, Nase und Augen gegraben. Schwere Tränensäcke drückten die Brillengläser nach vorn. Die großen Poren und die geplatzten Adern in den Augen sprachen von zu viel Alkohol. Wer war sie? Erst als sie sich zu Roth gesellte, verstand Oliver. Das musste Irene Meinhard sein.
Im Vorbeigehen schüttelte Weißhaupt ihm die Hand. Er wirkte ehrlich betroffen.
In den vergangenen Tagen hatten sie sich nicht gesehen, leider auch nicht gesprochen. Seine Lippen zuckten, als wolle er etwas sagen. Schließlich schloss er nur kurz die Augen und klopfte Oliver auf die Schulter.
Was für ein gutherziger Mensch.
»Danke, dass du da bist.«
Er lächelte schmerzlich. »Stand doch außer Frage, Oliver.«
Roth schüttelte ihm ebenfalls beide Hände.
»Kopf hoch. Noch ist nichts verloren, Junge.«
Die Worte kamen überraschend. Verwirrt hob Oliver den Blick.
Roth blinzelte, als schaute er gegen die Sonne.
Er kam nicht dazu, zu fragen. Matthias umarmte ihn kurz und fest.
Seltsam, wie gut sich Matthias verstellen konnte.
Offiziell waren sie nur Freunde, nicht Cousins. Dieses Geheimnis blieb gewahrt, aber Matthias’ Verrat? Wie wollte er das Weißhaupt gegenüber je wieder gutmachen?
Anschließend trat die Polizistin vor. Sie nahm seine Hand und hielt sie fest. Warum ließ sie nicht los?
»Meinhard«, stellte sie sich knapp vor. »Mein Beileid.«
Ihr Auftreten und der neutrale Tonfall ließen keine Rückschlüsse auf ihre Art zu. Ein unangenehmes Gefühl zog seinen Magen zusammen.
»Danke, Frau Meinhard.« Er nickte ihr zu.
Ihr Griff verstärkte sich. »Ich kann nicht zulassen, was Sie vorhaben, Oliver. Das ist Wahnsinn.«
Sie sprach betont leise, aber deutlich genug.
Konnte Amman es hören?
Nein, er ging, den Arm um Kerstin geschlungen, gut zwanzig Schritte entfernt davon.
Er atmete auf. »Wieso?«
»Davon abgesehen, dass er skrupellos ist und wir ihm nichts nachweisen können?« Sie neigte sich ihm entgegen. Dicht neben seinem Ohr wisperte sie: »Er benutzt Sie, um sein Ziel zu erreichen.« Der spöttische Unterton war aus ihrer Stimme verschwunden.
»Was ist sein Ziel?« Eigentlich kannte er die Antwort. Aber auf vollkommen verquere Art schien diese eigenartige Frau es auch zu kennen.
Sie wich zurück. Ihr Blick strich an ihm vorbei. Aus glasigen Augen starrte sie ins Leere.
»Frau Meinhard?«
Ihre Augen fokussierten plötzlich wieder. Sie erfasste ihn, als erwache sie aus einer Trance.
Diese Frau war unheimlich. Besaß sie dieselben Fähigkeiten wie Daniel? Seine Nackenhärchen sträubten sich.
»Amman Aboutreika hat bereits hinter die Spiegel geblickt.«
Irene Meinhards Worte begleiteten ihn.
Die bisher angenommene Gefahr, die von Amman ausging, nahm potenziell zu, wenn sie recht hatte. Zugleich bestätigte sie damit, was er befürchtet hatte.
Mit ihm später noch reden zu müssen, löste reine Übelkeit aus. Seit wann hatte er solch eine elende Angst? Ihm wurde schwindelig. Schwarze Punkte tanzten vor ihm auf dem Weg. Die Hitze nahm ihm den Atem. Das leise Pulsieren in seinen Schläfen nahm zu. Jeder Schritt fiel ihm schwer, so unendlich schwer. Langsam atmete er durch. Wie Sirup rann die Luft durch seine Kehle. Der Knoten in seinem Hals löste sich nicht.
Warum musste sie diese Andeutung machen und dann weggehen?
Er straffte sich mühsam. Die anderen gingen ein gutes Stück vor ihm. Langsam sollte er aufholen, bevor sich noch jemand um ihn sorgte.
Es ging fast nicht. Alles geriet außer Kontrolle. Er war
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