Der Rebell - Schattengrenzen #2
gefangen hatte, zugleich standen ihm Schweißperlen auf der Stirn. Seine Wangen wirkten eingefallen und die Haut grau vor Anstrengung.
»Dan…«
Daniels Lippen drückten sich auf die seinen.
Der Kuss fühlte sich drängend, hart an. Ganz klar, das war keine Wiedersehensfreude, sondern einfach nur die simpelste Art, ihn zum Schweigen zu bringen. Trotzdem umschlang er Daniel.
Warum war er hier? Sollte er nicht zur Überwachung in der Klinik bleiben? Er sah erschöpft und krank aus, sein Atem schmeckte leicht faulig und zugleich nach Erbrochenem.
Langsam löste er sich von ihm.
Fiebrig glänzten seine Augen.
Oliver erhob sich und griff nach Daniels Hand, auf der ein blutiges Pflaster klebte. Vorhin steckte darin noch die Kanüle. Glücklicherweise folgte ihm sein Freund anstandslos. In der Halle blieb er stehen. Daniel zitterte spürbar. Es fehlte nicht mehr viel, bis er zusammenbrach.
»Warum bist du nicht in der Klinik?«
»Weil ich dir vorhin nicht alles sagen konnte, Olli.« Seine Stimme schwankte. Müde setzte er sich auf die Stufen und lehnte sich gegen das Geländer. Anscheinend konnte er nicht mehr stehen. War er die ganze Strecke gelaufen? Das waren doch mindestens fünf Kilometer, wenn nicht mehr.
»Konnte es nicht bis morgen warten?«
Vehement schüttelte Daniel den Kopf. Er kniff die Augen zusammen und hielt sich die Schläfen. Offenbar war ihm schwindelig.
Oliver setzte sich ein Stück oberhalb auf die Stufen und zog ihn an sich.
Daniel entspannte sich. »Als ihr im Archiv wart, habe ich das Wesen gesehen. Es hat mich angegriffen. Wächter sind ihm vollkommen gleichgültig. Es ist weitaus stärker als alles, was ich je gesehen habe.« Er keuchte. Das Sprechen strengte ihn stark an. Offenbar hob sich sogar sein Magen. Er biss die Zähne aufeinander und krallte sich in Olivers Haut. Er zitterte. Jetzt zu sprechen, würde ihn sicher aus dem Konzept bringen. Oliver presste die Lippen aufeinander und zog ihn noch enger an sich.
Nach einer Weile schien sich Daniel wieder etwas zu entspannen. Er atmete schwer.
»Camillas Hinweis stimmt.« Erneut kippte seine Stimme. »Es steht mit dem in Zusammenhang, was in der Geschichte beschrieben wird.« Mühsam rang er nach Atem. Er würgte. »Es handelt sich nicht um den Geist deiner Urgroßmutter, sondern ihren manifestierten Hass, der sich eine Gestalt gesucht hat und von allem Bösen nährt, was in diesem Haus geschieht.«
Beerdigung
W ie zum Hohn brannte an diesem letzten Septembertag die Sonne in all ihrer Pracht herab. Die Hitze war beinahe unerträglich. In der kühlen Kapelle ließ es sich ertragen. Trotzdem drang die warme Luft durch die weit offenen Glastüren herein. Nach dem Trauergottesdienst würde es in den Mauern kaum weniger stickig sein als außerhalb.
Oliver stöhnte innerlich.
Schweiß stand auf seinen Lidern und brannte beständig. Blinzeln half auf die Dauer nicht. Er strich sich mit den Fingern über die Augen. Wahrscheinlich wirkte es auf alle anderen, als würde er weinen. Dazu bestand kein Grund. Sein Mitleid für Walter existierte, aber seine Liebe zu dem alten Mann hielt sich stark in Grenzen. Die ersten aufwühlenden Gefühle waren längst abgeflaut. Auch Michael weinte ihm nicht nach. Christian schien erleichtert, jetzt, wo alles vorbei war. In den vergangenen Tagen hatte sich allerdings einiges verändert. Christians Euphorie wankte stark. Soweit Oliver es beurteilen konnte, begann der Kleine nachzudenken. Die neuen Umstände bedeuteten das Ende aller Freiheit.
Noch stand der Wechsel nicht zur Debatte, aber der Tag lag nicht mehr fern. Auch Gregor Roth schien begriffen zu haben, dass sich sein vorgeblicher Mordfall mit Walters Tod in Wohlgefallen aufzulösen schien.
Das war es also mit der Sicherheit der Villa, der Gegenwart von Lukas George, Matthias und Daniel.
In den letzten Tagen, wenn ihm die Zeit dazu geblieben war, hatte er darüber nachgedacht. Die Trennung stand unmittelbar bevor. Roth hatte offenbar schon mit dem Jugendamt telefoniert. Nun galt es, zu handeln. Der Hauptkommissar würde es kaum gutheißen, dass Oliver Aboutreikas Angebot annehmen würde. Besonders Weißhaupt würde auf die Barrikaden gehen. Schließlich handelte es sich bei Amman nicht um den gütigen Onkel, den er den Jungs vorzumachen versuchte. Weder Roth noch Weißhaupt würden zulassen, dass sie zu Aboutreika kamen, in hundert Jahren nicht. Die Frage war nur, wie konnte er die unumstößlichen Argumente beider Männer ins Wanken
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