Der Rebell - Schattengrenzen #2
vorn, sodass er sich auf die Rücklehne des Beifahrersitzes stützen konnte.
»Bist du böse deshalb?« Daniel klang überrascht.
»Nein, keineswegs, nur …«
»Olli, der alte Mann ist doch gar nicht mehr in der Lage, sich um Kinder zu kümmern. Micha und Chris sind unterernährt. Sie werden vernachlässigt. Diese Info ans Jugendamt und Walter Markgraf darf Micha und Chris nie wiedersehen.« Er bremste den Wagen an der letzten Ampel vor der Autobahn ab. Als der Wagen stand, wandte er sich um. »Auch wenn es erst mal unschön ist, werdet ihr in ein Heim kommen – Betreutes Wohnen, oder wie das heute heißt.«
Keine schöne Vorstellung, aber wahrscheinlich besser als bei Walter leben zu müssen.
»Werden wir getrennt?«
Daniel legte die Stirn in Falten. »Kann ich dir nicht sagen. Gregor wird aber alles daran setzen, dass ihr drei zusammenbleiben könnt. Er sieht ja, wie sehr ihr drei aneinander …«
Ein aggressives Hupen schnitt ihm das Wort ab. Kurz sah er auf und drehte sich wieder um. Er gab Gas. Der Passat nahm Fahrt auf.
Zusammen in einem Heim – nicht schön, aber eine Perspektive.
»Was geschieht dann mit Opa?«
»Keine Ahnung, Micha.« Daniel hob die Schultern. »Das entscheiden die Untersuchungen. Gegen ihn liegen verschiedene Verdachtsmomente vor, besonders nachdem, was mit Chris passiert ist.«
»Weshalb?«
»Unterlassene Aufsichtspflicht, mögliche Beihilfe, Verschleierung …«
Oliver legte Daniel eine Hand auf die Schulter. »Das versteht Micha noch nicht.«
»Opa hat uns aber nichts getan.«
Daniel bog vor der Autobahn ab.
Etwas bewegte sich in den Enklaven des Dämmerlichts. Es wirkte wie Nebel, der zu einer riesigen Schlange gerann, nur um sich sofort wieder aufzulösen und andernorts zu sammeln.
Drehte er nun vollkommen durch?
Oliver kniff die Lider zusammen. Als er sie wieder öffnete, blickte er nach rechts ins Licht. Er wandte sich um.
Nichts. Einfach nur ein Parkplatz und der Regen.
Langsam drehte er sich wieder in Fahrtrichtung. Die Erich- Ollenhauer -Straße bot etwas mehr Normalität. Lauter kleine Ein- und Mehrfamilienhäuser mit Vorgärten. Der Reiz einer veraltet biederen Fünfzigerjahre-Wohnhaussiedlung haftete der Hauptstraße an. Das war Dotzheim. Hier tickten die Uhren anscheinend anders, langsamer, dörflicher.
Ein Schild – wahrscheinlich das Modernste, was Dotzheim zu bieten hatte – wies auf die städtischen Kliniken hin.
Das ermüdende Bild der grau in grau gehaltenen Gebäude verlief sich in der Ferne.
Oliver konzentrierte sich wieder auf Michael. Was hatte er doch gleich gesagt? Walter habe ihnen nichts angetan?
»Aber ihr seid so dünn wie noch nie … überhaupt …«
Michael hob die Schultern. »Aber wir konnten soviel essen, wie wir wollten.«
Oliver wandte sich Daniel zu. Im Rückspiegel begegnete er seinem Blick – Unglaube lag darin. »Aber wie könnt ihr dann täglich dünner werden?«
Michael biss sich auf die Unterlippe. »Das passiert immer, wenn diese Männer und Frauen durch uns hindurchgehen. Dann sind wir so müde und kalt.«
Daniel trat so heftig auf die Bremse, dass Oliver mit der Wange gegen die Kopfstütze des Beifahrersitzes schlug.
Michaels leiser Schmerzensschrei verriet, dass auch er sich gestoßen hatte. Gleichzeitig kreischten Bremsen. Mehrere Fahrzeuge hupten.
Irritiert sah Oliver durch die Windschutzscheibe. Vor ihnen war nichts, was Daniels Manöver rechtfertigte. Er lenkte den Wagen unsanft in die Parkbucht vor der NASPA.
Oliver sah über die Schulter. Der Verkehr floss weiter. Böse Blicke trafen sie. Der dumpfe Schlag gegen seine Wange ließ die Haut warm werden. Irritiert fuhr er mit den Fingerspitzen darüber.
»Warum hast du gebremst?«
Kreidebleich wandte sich Daniel zu ihnen um. »Micha, du redest tatsächlich von Geistern, nicht wahr?«
Allein, dass Daniel dieses Konzept Geister überhaupt in Betracht zog, fühlte sich eigenartig an. Ein Mann wie er, ein Polizist und Realist, glaubte ganz sicher nicht an Geister. Oder doch?
Was konnte er erlebt haben, das ihn überzeugte?
Zweifelnd betrachtete Oliver seinen Freund, der neben ihm an der modernisierten, hellen Klinik-Rezeption stand.
Punk oder Beamter – Daniel war kein Traumtänzer. Er stand mit beiden Beinen auf dem Boden und liebte das Leben.
In dieses Konzept passte kein Mysterium. Trotz allem gewann sein Gesicht nur langsam Farbe zurück. Sein Augenlid zuckte nervös. In seiner Mimik lagen Schrecken, Ernst und Anspannung. Sein
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