Der Rebell - Schattengrenzen #2
Nase.
Hier verdichtete sich der Geruch. Schimmel, feuchter Putz und dieser Übelkeit erregende Gestank vermischten sich. Woher kam die Feuchtigkeit, wenn der Boden so trocken war, dass der Staub bis zu seinem Gesicht aufwirbelte?
Mit den Fingern fuhr er über die zugemauerte Öffnung. Zwischen einigen Steinen rann brackiges Wasser in den Mörtel und weichte ihn auf. Oliver hob den Blick. Über ihm neigte sich ein dickes, schwarzes Tonrohr in die Wand. Es verlief schräg durch die Mauer und verschwand darin. Nach Fäkalien stinkendes Wasser rann aus einer Muffe in den Stein.
Oliver zog die Brauen zusammen. Hinter der Wand gab es also einen Hohlraum.
»Herr Weißhaupt?«
Das Luftholen ließ ihn wieder würgen.
Oliver drehte sich um. Der Kommissar richtete den Strahl einer kleinen Taschenlampe auf die Wand.
»Was ist das?«
Oliver hob die Schultern.
Langsam kam Weißhaupt heran. »Vorgemauerte Wände und Raumteiler zählen nicht zu den ungewöhnlichsten Erscheinungen in alten Häusern.« Er legte die Stirn in Falten. »Trotzdem …« Er streckte die Finger aus, zog sie aber zurück. »Sei bloß vorsichtig.«
Oliver nickte und drückte vorsichtig mit der flachen Hand gegen die Vermauerung . Er spürte, wie sich der Mörtel zersetzte. Die Steine sackten leicht ein. Mit etwas mehr Kraft käme er durch. Aber was würde er finden? Vielleicht war es nur der Schacht des Abwasserrohrs.
»Olli!« Michaels Stimme klang schrill.
Aber mit der Wand war doch gar nichts?
Nun schnappte auch Weißhaupt nach Luft.
Gleichzeitig traf ihn ein harter Schlag in den Nacken. »Verdammt!« Er fuhr herum.
Walter.
»Bist du bescheuert?« Olivers Ärger über den sinnlosen Hieb und Walters albernes Verhalten vermischte sich mit dem gallebitteren Gefühl von Wut und Trotz.
»Was machen Sie denn da?« Weißhaupt griff nach Walters Arm, doch der Alte schlug seine Hand mit dem Stock weg.
»Sind Sie noch bei Trost?« Deutlich ärgerlich griff der Beamte nach.
Walter starrte ihn an. »Nicht!«
Das Wort klang leise, drohend, was dem Kommissar offenbar egal war. Er packte den Alten unsanft. Walter stemmte sich dagegen.
Oliver ballte die Fäuste. Was würde er hinter dieser Wand finden? Der Alte wollte offenbar nicht, dass er nachsah.
Mit aller Kraft warf Oliver sich gegen die Steine. Die aufgeweichte Wand gab nach. Knirschend sank sie ein.
Oliver federte zurück. Michael klammerte sich von hinten an ihn. »Olli, was machst du?«
Nichts – oder alles?
War das seine Rache? Ja. Er wollte Walter bloßstellen.
Euphorie flutete seinen Verstand.
Im gleichen Moment wandte er sich hustend ab. Staub wirbelte auf. Feiner Kalk stob in einer Wolke durch den Raum. Ein bestialischer Geruch mischte sich in den Nebel, der sie für einen Moment erfasste. Er war scharf, chemisch und Übelkeit erregend. Oliver würgte trocken. Glücklicherweise hatte er nichts mehr in seinem Magen, was er noch loswerden konnte.
In seinen Augen brannte der Dreck.
Weißhaupt zerrte ihn zurück und schüttelte ihn unsanft.
»Was zum Teufel machst du?«
»Lassen Sie Olli los«, rief Michael. Seine kleinen Finger legten sich um Weißhaupts Pranken. Erfolglos zerrte er.
Seltsam, wie fern und bizarr diese Szene wirkte.
Konnte man einfach aus seiner Haut schlüpfen und sich selbst beobachten?
Natürlich nicht. Er machte sich mit einer knappen Bewegung los. Es fühlte sich an, als schüttele er mit Weißhaupt einfach nur Insekten ab.
Der Kommissar unternahm keinen zweiten Versuch mehr, leuchtete zu dem neu entstandenen Durchbruch.
Als sich die Staubwolken legten, kniff Oliver die Lider zusammen, um besser sehen zu können. Er wedelte mit der Hand und hielt sich den Arm vor Mund und Nase. Langsam trat er näher. Hinter dem Durchbruch gähnte feuchte Schwärze. Weißhaupt drängte an seine Seite und leuchtete den Raum aus. Keuchend fuhr Oliver zurück. In dem weißen Lichtkegel, der über Boden und Wände huschte, blitzten Knochen auf.
Wächter
N ur mühsam drang die Realität durch den Kokon der Apathie. Am Rande seines Wahrnehmungsfeldes tat sich viel. Trotz allem fühlte es sich seltsam nebulös und wattig an, dahin durchzudringen – vielleicht mehr als die Albtraumsequenz mit diesem Wächter. Fühlte sich ein Schock so an? Bekam man nichts mehr mit, obwohl man mitten im Zentrum des Geschehens stand? Wahrscheinlich. Aber stand nicht überall beschrieben, dass ein solcher Zustand mit Zittern, Unterkühlung und kaltem Schweiß einherging? Nein, das
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