Der Rebell - Schattengrenzen #2
sagst?«
Daniel nickte fest. »Zwischen den beiden gibt es eine ganz klare Opfer-Verteilung.«
Das meinte er zwar nicht, aber Daniel hatte recht. Chris, der Träumer, Micha, der Realist. Christian wurde angegriffen, weil er dafür offen war, Michael konnte sich dagegen wehren, aber niemand anderem als sich selbst helfen.
Instinktiv hielt sich Oliver an Micha fest. Plötzlich fühlte er sich hilflos, schwach und klein, im Gegensatz zu dem unterernährten Körper Michas, der sich mächtig über ihn zu erheben schien. Fraglos, Daniel hatte recht.
Der Blick, den Matthias und Daniel miteinander teilten, als sie Christians Zimmer betraten, war wenig dezent. Besonders das bestätigende Nicken wies auf einen stummen Disput hin.
Sie schlossen Micha und ihn aus. Leichter Ärger stieg in ihm auf. Als Matthias zur Seite trat, hob Oliver überrascht die Brauen. Der Raum war leer, abgesehen von einem Rollschrank und dem hässlichen Achtzigerjahre-Ensemble aus zwei Stühlen und einem Tisch, voll abwaschbar und so abgerundet, dass sich niemand daran verletzen konnte. Es roch steril und schwach nach Urin. Eine furchtbare Mischung, die in der Kehle reizte.
»Wo ist Chris?«
Michael sah fragend von Oliver zu Daniel.
»Er wird gerade untersucht.« Schulterzuckend setzte Matthias sich auf die Tischkante. »Kann noch einen Moment dauern.«
Oliver deutete auf Matthias und Daniel. »Vielleicht reicht der Moment, um euer stilles Zwiegespräch in Worte zu fassen?«
»Holla.« Matthias hob abwehrend die Hände.
»Er weiß es«, sagte Daniel schlicht.
Was? Das mit den Geistern?
Oliver legte die Stirn in Falten. Matthias war der Inbegriff des korrekten Bullen und zugleich brutaler Realist. Aber so wie sie einander ansahen, blieb ein eigenartiger Nachhall zurück. Oliver blinzelte. »Befasst ihr euch öfter mit unheimlichen Begebenheiten?«
Der Schuss zielte ins Blaue und traf. Matthias sank in sich zusammen, Daniel hingegen nickte verhalten.
»Normal nicht, aber …« Er brach mit einem Blick zu Matthias ab, der beide Hände in den Hosentaschen vergrub und die Schultern zuckte.
Was bedeutete das? Ein Okay für Daniel?
»Matthias und Bernd sind im letzten Jahr während laufender Mordermittlungen das erste Mal mit extrem eigenartigen Dingen in Berührung gekommen.«
»Wovon redest du?«
Matthias zuckte die Schultern. »Weil ich im Grunde immer noch ein Realist bin und mit dem ganzen X-Files-Müll gar nichts am Hut haben will. Da ist Daniel geeigneter, darüber zu reden. Der ist mit den Horroreffekten groß geworden, glaube ich.«
»Wirklich?«
Daniel schien das Gespräch unangenehm zu sein. Trotz allem nickte er. »Das in Berlin …« Daniel brach ab. Er atmete tief durch. »Es wurde heftig, als zwei meiner Freundinnen während ihres Berlinurlaubs in Matthias’ Ermittlungen hineingezogen wurden. Eine von ihnen, Theresa, starb dabei. Sie wurde eines der Opfer des Sandmanns.«
Hinter Olivers Schläfen pochte leichter Schmerz. Berlin – Opfer? Der Sandmann … war da nicht etwas im letzten Sommer gewesen? Ein Mädchen aus Frankfurt war zum letzten Opfer eines Frauenmörders geworden, der sich Sandmann genannt hatte.
Der Aufmacher der Zeitungen war die von der Polizei verheimlichte Mordserie gewesen, über mehrere Wochen hin sogar. Der Sandmann hatte den armen Dingern bei lebendigem Leib die Augen herausgeschnitten. Und Matthias war einer der Ermittler gewesen?
Oliver schnappte nach Luft.
»Ihr wart an dem Fall?«
Matthias nickte. »Bernd, ein Kollege, der sich während des Falls … umbrachte und ich.«
Das kurze Zögern entging ihm nicht. Was bedeutete es? Oliver kniff die Augen zusammen. Log Matthias oder gab es da ein weiteres Geheimnis, was er nicht ausbreiten wollte?
Er schüttelte die Fragen ab. Sie waren in seinem Fall wohl weniger relevant. »Aber was hat das hiermit zu tun?«
Matthias zuckte mit den Schultern. »An sich nichts, nur das Übersinnliche verbindet die beiden Fälle – und die Tatsache, dass Bernd und ich seitdem die Welt aus einem anderen Blickwinkel sehen.«
Die Worte sickerten nur sehr langsam in Olivers Bewusstsein. Er hörte sie, nahm ihren Inhalt aber im ersten Moment nicht wahr. Benommen strich er sich die nassen Locken aus der Stirn. Plötzlich schien sich ein fester Kokon um ihn zu bilden, der die Welt im Ganzen ausschloss und nur noch eine begrenzt kleine, ausgesuchte Gruppe Menschen hineinließ – Michael, Daniel und Matthias.
Die Realität schrumpfte zu etwas eigenartig
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