Der Rebell - Schattengrenzen #2
Magen kehrte sich um. Ekelhaft giftige Magensäure schoss durch seine Speiseröhre und füllte seinen Mund. Würgend übergab er sich. Heiß rann Erbrochenes über seine Lippen und drang in seine Nase. Gequält presste er die Lider zusammen. Stimmen, Laute, zusammenhangslose Gedankenfetzen, Emotionen, alle vollkommen fremd, drangen auf ihn ein. Hinter seiner Stirn ballte sich die Masse bizarrer Eindrücke, nur um mit Gewalt gegen seine Schläfen zu drängen. Das, was sich in seinen Verstand zwang, war so abstrus, dass es ihn mit sich in die Finsternis des Wahnsinns riss.
NEIN! Hau ab!
Von einem Moment zum anderen verschwand das Gefühl.
Stille, nicht weniger laut und unerträglich, flutete seinen Verstand. Stöhnend schloss er die Augen.
Hinter seinen Lidern flimmerte das Nachbild des Wesens, nur dass es weiß und seine Umgebung schwarz zu sein schien.
Weg hier. Er wollte nur diesem wirren Mix von Albtraum und Realität entkommen. Wohin? Hier gab es keinen ruhigen Ort, um all das zu ordnen.
Es war hoffnungslos. Wie lang würde er seinen Verstand behalten, wenn es nichts gab, was eine Konstante bedeutete? Fühlte sich Verzweiflung so an? Bisher bedeutete das Gefühl Verlust und Ausweglosigkeit. Aber war das nicht genau dasselbe? Wahrscheinlich knallte er durch. Das waren klare Anzeichen für einen vollkommenen geistigen Zusammenbruch.
Langsam beruhigte sich der Sturm wieder. Zurück blieb beklemmende Angst.
Würde dieses Gefühl je wieder gänzlich verschwinden?
Er schluckte. Es war unbestimmt und trotzdem definiert. Der Stress, die plötzlich hereinbrechende Normalität außerhalb einer Klinik, die Worte von Frau Richter, das seltsame Verhalten Walters, die Angriffe …
Wut ballte sich in ihm zusammen. Er spürte, wie seine Nägel in die Handflächen schnitten.
Ich lasse mich nicht fertigmachen, von nichts.
Langsam gewann die Wirklichkeit den Vorrang. Er war nicht tot.
Wenig entfernt drang das Knirschen von körnigem Staub und Mörtel zu ihm. In der kalten Luft lag der Gestank nach Moder und altem Mauerwerk. Helligkeit stach nicht mehr durch seine Lider. Das Licht schien wieder normal zu sein. Vorsichtig sah er auf. Das war nicht die Stelle, an der der Wächter gelauert hatte.
Wenige Schritte entfernt versuchte Weißhaupt einen Blick auf die Kammer zu erhaschen. Hinter ihm kauerte Michael. Erst jetzt erhob sich sein Bruder und wand sich aus seiner Ecke. Der massige Beamte versperrte ihm offenbar den Blick. Weißhaupt bewegte sich keinen Schritt.
Diese Neugier war so herrlich normal.
Michael hielt sich an einem Fallrohr fest. Wasser rauschte herab. Erschrocken ließ er los.
Oliver sah zu dem Keller, vor dem er stand. Er lag hinter einem gemauerten Bogen und war leer. Nicht einmal Holzsplitter gab es, die das Wesen zurückgelassen haben müsste.
Einbildung?
Nein. Oliver rieb sich die Augen. Die Welt hinter den Spiegeln gab es wirklich. Er schüttelte den Gedanken ab.
»Hier.« Michael kam zu ihm und wies in die Kammer. »Er ist hier verschwunden, in dieser Wand.«
Das Licht reichte kaum. Oliver kniff die Lider zusammen. Ihm gegenüber befand sich eine Mauer, die nicht annähernd so weit in die Tiefe ging wie in der Kammer daneben.
Einige poröse Ziegelbrocken lagen auf dem Boden. Mörtelreste und Salpeter hingen in den Spinnweben. Unter den Geruch mischte sich ein eigenartiger Hauch, der sich mit nichts vergleichen ließ. Ein schaler Geschmack schlug sich pelzig in Olivers Rachen nieder. Sein Magen hob sich. Unwillkürlich würgte er. Woher kam das?
»Olli, alles okay?« Michael berührte seinen Arm.
Um das Gefühl zu unterdrücken, presste er die Kiefer aufeinander und versuchte nur noch flacher zu atmen. Sacht strich er Michas Hand ab. Antworten konnte er nicht.
Was roch so eigenartig?
Die instabile Brettertür war unverschlossen. Lediglich der Riegel lag vor. Rost knirschte in den Ringen, als er den Knauf zurückzog. Ein Widerstand gab nach. Mit einiger Kraft zerrte er an den rauen Latten. Splitter stachen in seine Haut.
Scheiße, was bin ich denn für ein Weichei geworden?
Vor einem Jahr wären sie nicht durch die verhornten Stellen an seinen Fingern gedrungen.
Die Tür kratzte über den Boden. Als er den Fuß in die Kammer setzte, wirbelte Staub auf. Die winzigen Partikel reizten seine Schleimhäute. Oliver versuchte, nicht noch mehr zu husten. Sein Hals tat ohnehin schon weh. Der Niesreiz ließ sich allerdings kaum unterdrücken. Er presste den Ärmel seiner Jacke gegen Mund und
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