Der Rebell - Schattengrenzen #2
seiner Kleidung hing. Diese Mischung sollte seinem Magen eigentlich nicht guttun. Trotzdem beruhigte sich Oliver.
Eigenartig. Seine Nähe vertrieb sogar die unterschwellige Panik. Angst und Verwirrung verkrochen sich in eine weit entfernte Ecke und machten der Sicherheit Platz, die Daniel verströmte.
Sicherheit – ich bin in Sicherheit.
Oliver umschlang Daniel. Ihm war gleich, was ein zufälliger Beobachter dachte. Er fühlte sich im Moment geborgen. Wahrscheinlich hätte er kein Problem gehabt, sich noch stundenlang an Daniel zu drücken, aber sein Freund löste sich nach einer Weile. »Geht es wieder?«
Matt nickte Oliver. »Danke.«
Ein Handy klingelte. Eye of the Tiger . Der Ton war so irreal und fremd, dass Oliver ihn im ersten Moment nicht einzuordnen vermochte. Erst als Daniel auf seinen Oberschenkel tippte, begriff er, dass es sich um sein Telefon handelte. Rasch zog Oliver es aus seiner Beintasche.
»Hoffmann.«
Großer Gott, seine Stimme wankte noch immer. Klang er nicht viel zu laut und zu schrill?
»Oliver, Gregor Roth hier .«
Roth? Das konnte nur bedeuten, dass er wusste, wie es nun weiterging. Nervöse Aufregung ergriff ihn. Das Kribbeln in seinem Bauch dehnte sie zu einer erstickenden Wolke aus.
»Gibt es eine Entscheidung?«
»Walter Markgraf wird vorerst in Untersuchungshaft genommen und zum Angriff auf Christian verhört.«
In etwa das hatte auch Daniel prophezeit. Dank der Nervosität klebte seine Zunge am Gaumen.
»Da ich davon ausgehe, dass ein alter Mann nicht mehr in der Lage ist, diese Art der Verletzungen bei einem Kind hervorzurufen, denke ich, dass es besser ist, euch drei vorerst unter Polizeischutz zu stellen.«
»Oh.« Oliver konnte nicht mehr sagen. Vom einen auf den anderen Moment fühlte sich sein Kopf leer an.
War das die Perspektive, über die er kurz nachgedacht hatte? Nicht wirklich. Vor allem – wovor wollte Roth sie denn schützen? Vor Geistern? Vollkommener Schwachsinn. Andererseits sah es danach aus, dass Matthias, Weißhaupt und Daniel von dem Übernatürlichen wussten, für Roth aber alles ein simpler Fall mit mehreren zusammenhängenden oder unzusammenhängenden Mordanschlägen war. Es stellte sich die Frage, wohin dieser Weg führte?
Das Telefon knackte leise. Einen Moment später drang Rauschen an sein Ohr. Offenbar telefonierte er aus dem Auto.
Als Roth wieder sprach, klang seine Stimme weit entfernt.
»Du klingst schockiert, junger Mann.«
Klar klang er schockiert, weil er gerade vor der großen, weißen Leere stand, die die Zukunft bedeutete, sich Mysterium und Kriminalistik trafen und er keine Ahnung hatte, wie es weitergehen sollte.
»Entschuldigen Sie, Herr Roth.« Er räusperte sich. »Gibt es denn schon ein paar Hinweise auf die Leichen?« Er klang heiser.
»Das würde ich gern später besprechen. Aber Oliver …«
Ein Störgeräusch ließ das Gehäuse nochmals knacken. Der Laut wurde höher und intensiver. Oliver hielt das Gerät von sich fort. »Mist, ich bin taub.«
Daniel hob eine Braue. Als der Laut abbrach, hielt er das Handy wieder ans Ohr.
»Gibst du mir mal Kuhn?«
Oliver reichte Daniel den Apparat. »Er will dich sprechen.«
»Chef?«
Während Daniel den Raum verließ, um zu telefonieren, sah Oliver sich um. Instinktiv mied er den Blick zum Fenster. Er spürte den Blick des alten Mannes noch immer. Warum war er an diesem Ort hinter den Spiegeln? Weshalb erschien er ihm nun?
Er spürte eine Welle von Wärme. Sorgte sich dieser Mann um ihn? Nun sah er doch auf.
Der Alte lächelte ihm zu. In seinen Augen spiegelten sich tatsächlich Freundlichkeit und Sorge … Sollte ein Großvater nicht eher so sein?
Oliver trat an die Scheibe. Er legte seine Hand auf das kalte Glas. Der alte Mann tat es ihm gleich. Die glatte Fläche erwärmte sich. Der Raum füllte sich mit dem Duft, der Oliver schon vertraut war. Das Aroma reifer Früchte, von Moos, von der Sommersonne verbranntem Heu und Stroh fügte sich hinzu. Von irgendwoher kam das leise Plätschern von Wasser, das über Steine sprang.
Es beruhigte. Der Alte wusste das offenbar. Wer immer er war, Oliver hatte in ihm einen besonderen Freund gefunden, jemand, der immer ein Auge auf ihn haben würde.
Er lächelte. »Vielen Dank.«
Das Bild verwehte und gab den Blick auf die Untergangsstimmung über der Stadt frei. Die Kälte unter seinen Fingern kehrte zurück. Der alte Mann hinterließ eine gewisse Leere, die sich nicht mehr füllte.
Irgendwann würde er herausfinden wollen,
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