Der Rebell - Schattengrenzen #2
anstarren würde, aber die Vorstufe dazu. In den Bäumen hinter ihnen bewegten sich die Blätter. Überall raschelte es. Von der Bundesstraße drang beständiges Wasserrauschen, wenn die Fahrzeugschlangen vorbei rollten. Aber warum hoben sich die vielen Hintergrundgeräusche massiv vom Lärm des laufenden Motors ab?
In der Nähe knackten Äste. Wind fuhr durch die Blätter. Es schien, als triebe er eine Wolke schwarzen Nebels vor sich her. Regen wurde von den Bäumen auf Dach und Windschutzscheibe geschmettert.
Oliver zuckte zusammen. Ängstlich schob sich Micha unter seinen Arm. Selbst Daniel und George erschraken. Der Wagen rollte einen guten Meter zurück, bevor der Beamte auf die Bremse trat und ihn abfing.
Erneut trug der Wind eine Ladung Wasser von den Blättern, die den Wagen traf.
Nervös schlug Daniel auf die Konsole. »Wo bleiben die denn?«
Er spürte es also auch. Oliver starrte in den Wald. Die Schwärze wogte, schien sich zu bewegen, zuckte unaufhörlich …
In der Spiegelung des Fensters neben Chris zuckte etwas, grellweißes Licht flackerte.
Olivers Atem stockte.
Erschrocken fuhr Chris zusammen und drückte sich an ihn. Sein Körper fühlte sich eisig an.
We will rock you … Oliver fuhr zusammen . Dieser bescheuerte Handyklingelton von Daniel! Er rang nach Atem. Es wurde etwas heller. Das Bild zerriss.
»Ja?« Daniels Stimme bebte. Er gab George einen Wink. »Fahr weiter. Sie sind gleich wieder hinter uns.«
Als die Wagenkolonne in einer schmalen baumgesäumten Parallelstraße der Sonnenberger Straße hielt, schienen sich die Zwillinge wieder gefangen zu haben. Chris sah nach draußen. Michael war eingeschlafen. Sein Kopf lehnte an Olivers Brust. Behutsam strich er über den sonnenverbrannten, flaumigen Nacken seines Bruders. Leise Geräusche kamen über Michaels Lippen.
Hatte er den Schock verdaut oder erschöpfte ihn etwas ganz anderes? Die vergleichsweise schwache Vorstellung im Wald hatte auch ihn ermüdet. Aus irgendeinem Grund fraß diese Episode mehr Kraft als die Begegnung im Heim oder mit dem grauen Monster.
Gähnend starrte er in das lichtzerfressene Halbdunkel. Prächtigen Villen aus dem neunzehnten Jahrhundert erhoben sich rechts und links der Straße. An einigen Stellen konnte er bis zur tiefer gelegenen Sonnenberger Straße und den Kurpark sehen. Sollte das hier ihr Ziel sein?
Aber warum waren sie nicht den direkten Weg gefahren?
Ach ja … George wusste nichts von der eigentlichen Bedrohung. Oliver sank tiefer in die Polster. Die Wärme des Kinderkörpers neben ihm schläferte ihn ein.
Erst das Summen eines elektrischen Tors ließ ihn aus dem Dämmerzustand hochschrecken.
Hinter stark ornamentierten Gittern erhaschte er einen Blick auf den gekiesten Innenhof vor einem efeuüberwucherten Prunkbau. Das Haus erinnerte Oliver an ein Dornröschenschloss. Farbige Bleiglasfenster in eleganten Rundbögen, steinerne Balkone und Säulen einer Freitreppe zierten die Villa. Oliver entging nicht, dass dezent versteckte Kameralinsen dem heranrollenden Wagen folgten.
Bevor der Jeep stand, schloss sich bereits das Tor hinter ihnen.
Die prunkvolle Ausstattung des Hauses hielt, was die Fassade versprach.
Hinter dem Windfang öffneten sich geschliffene, verglaste Flügeltüren in eine marmorverkleidete Halle. Eine wuchtige Kassettendecke spannte sich über ihren Köpfen. Im Zentrum hing eine ornamentierte Kristallglaslampe mit Messingfassung. Sie verströmte warmes Licht.
Von der Halle zweigten verschiedene Doppelflügeltüren ab. Die meisten standen einen Spalt offen. Zu sehen gab es allerdings wenig. Draußen hatte die Dunkelheit Einzug gehalten. Sanftes Blätterrauschen und der gedämpfte Lärm der Sonnenberger Straße bildeten ein einschläferndes Hintergrundgeräusch.
Der Geruch nach Politur lag in der Luft. Alles an diesem Ort vermittelte Frieden. Eine stille Zone in dem Lärm, den sein Leben verursachte.
Für einen Moment vergaß er seine Ängste. Er schloss die Lider. Entspannung und eine angenehme Schwere ergriffen ihn. Er sog das Gefühl in sich auf.
Erst als Daniel ihn anrempelte, öffnete er wieder die Augen.
»Sorry.« Leichte Unsicherheit schwang mit. Zum ersten Mal erlebte Oliver ihn nicht locker.
Daniel stand dicht neben ihm, seine Jacke über der Schulter. Sein Blick huschte über die seidenbespannten Wände, über die Bilder zurück zu Oliver. Kindliche Faszination überdeckte sich mit persönlicher Abneigung.
»Wow, ein Puppenhaus.« Er drehte
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