Der Rebell - Schattengrenzen #2
Kopf wies er zu dem Bündel. »Deine Klamotten und dein persönlicher Kleinkram. Die Tasche hätte ich gern irgendwann mal wieder.«
Oliver legte den Block ab und nickte. Offenbar hatte Matthias auf seine persönliche Art den Auszug aus der Reha durchgeführt, knapp und ohne viel Federlesen.
Aber wo war diese Camilla?
»Deinen Bücherwust habe ich in Kisten gestopft. Sie sind noch im Auto. Die kannst du mit Daniel ausladen.«
Oliver rollte mit den Augen. »Wo hast du nur wieder deine gute Laune her?«
Ärgerlich legte Matthias die Stirn in Falten. »Geh mir heute besser nicht mehr auf den Keks, okay, Oliver?«
Beschwichtigend hob er die Hände und stand auf. »Ist angekommen.«
Er drückte sich an dem Kommissar vorbei. Matthias so schlechtlaunig wie heute, entsprach der Situation, mit einem Tiger im gleichen Zimmer festzusitzen. Er konnte nur verlieren.
Auf der Treppe begegnete ihm eine sehr junge Frau, die auf der Hüfte eine Einkaufsbox mit seinen Büchern trug.
»Oliver?«
Er nickte.
Mit einem breiten Grinsen drückte sie ihm die Kiste und ihre Tasche in den Arm. Das plötzliche Gewicht überraschte ihn. Zumindest war sie kein schwaches, kleines Mädchen.
»Bis gleich.« Sie sprang leichtfüßig die Stufen hinunter. Leichtfüßig? Sie trug schwere Springer. Ihr langer, dichter Zopf wippte. In ihren wilden, scharlachroten Locken glitzerten Wassertropfen.
Auf bizarre Weise ähnelte sie dem Aussehen seiner Mutter. Auch wenn sie ein einziger Smiley zu sein schien und seine Mutter sich eher die Zunge abgebissen hätte, als so offen zu lächeln … Irritiert sah er ihr hinterher.
Tatsächlich entsprach sie keinem seiner geistigen Modelle.
Sie war groß und schlaksig, trug eine runde Metallrahmenbrille und hatte ein schmales, androgynes Gesicht mit einer dominanten, langen Nase. In Unterlippe, Brauen und der Nasenflügel trug sie schwarze Piercings. Die nasse Patchworkschlaghose schlackerte an ihren Beinen.
Sie war anders, genau, wie Daniel gesagt hatte, eigenwillig und auf ihre Art unvergleichbar. Obwohl er sie nicht kannte, gefiel ihm Camilla.
Dem Geheimnis auf der Spur
M atthias hatte offenbar eingekauft und Camilla Daniels Wagen vom Klinikparkplatz befreit. Oliver fragte lieber nicht, wie sie an den Zweitschlüssel des Passats gekommen war, denn er hatte nicht bemerkt, dass Daniel ihn an Matthias übergeben hätte.
Wie selbstverständlich gesellte sie sich zu ihm und half, als er die Bücher auspackte.
Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie sie die Romane nach Genre und Autor sortierte. Sie sah seiner Mutter tatsächlich ähnlich.
»Danke.«
Sie hob überrascht den Kopf. »Weswegen denn?«
Er wies auf die Bücher. »Du hilfst mir, obwohl du mich nicht kennst.«
»Falsch.« Sie streifte ihre Springerstiefel ab und setzte sich im Schneidersitz auf den Teppich.
Er stapelte die Romane aufeinander. Mitten in der Bewegung hielt er inne und musterte sie fragend. Sein Rücken schmerzte in der unbequemen Pose. »Warum?«
»Ich kenne dich schon eine Weile, genau genommen seit Dezember letzten Jahres, als Matthias mir von dir und deiner Familie geschrieben hat.«
»Dezember?« Seine Stimme klang schrill. Ende letzten Jahres hatten die Morde an seiner Familie stattgefunden. War Matthias damals bereits derart in den Fall involviert gewesen? Die Kollegen aus Berlin waren doch erst später hinzugezogen worden, im Januar oder Februar. »Bist du sicher?« Er spannte sich unwillkürlich an. Das bedeutete, dass Matthias und Weißhaupt schon im Vorfeld wussten, was passieren würde. Aber das war schlicht unmöglich. Wenn keiner der beiden seine »Glaskugel« befragt hatte, konnten sie nichts von dem wissen, was 600 Kilometer entfernt in Wiesbaden passierte und wohl eher als Affekthandlung galt. Misstrauisch zog er die Brauen zusammen.
Sie ließ sich mit dem Rücken gegen das Bettgestell sinken.
»An dem Tag, als dein Vater durchdrehte, hatte Matthias mir eine Mail geschrieben. Sie klang total panisch. Leider hat er mir bisher nicht gesagt, warum. Je mehr ich bohre, desto giftiger reagiert er.«
Oliver presste die Kiefer aufeinander. Er erhob sich. »Das muss ich erst mal klären gehen.«
Sie griff nach seinem Hosenbein. »Das würde ich momentan lassen. Der ist nicht gut drauf. Mit der Laune, die er hat, schweigt er sich bestenfalls aus.«
Aber er wollte nicht ewig warten. Diese Fragen mussten geklärt werden. Woher konnte Habicht im Vorfeld wissen, was passierte?
»Komm schon.«
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