Der Rebell - Schattengrenzen #2
Moment klingelte Daniels Handy.
»Matthias«, sagte er, ohne an den Apparat zu gehen.
»Ignorier ihn erst mal.«
Daniel lachte auf. Es klang nicht belustigt. »Der jagt mir glatt Gregor auf den Hals.«
»Vergiss den alten Roth.«
Der Koffer saß bombenfest. Wahrscheinlich hatte er sich mit irgendwelchen Gurten und Schnallen verklemmt.
Vielleicht klappte es von der anderen Seite des Bettes leichter. Leider türmten sich hier wieder Zeitungen und Kleider. Oliver schaufelte alles achtlos zur Seite.
Das Klingeln hörte auf.
Daniel kniete sich neben ihm in das Chaos. »Was hast du gefunden?«
»Einen Koffer.«
»Hoffentlich ist der nicht leer.« Er schob ein geschnürtes Zeitungspaket zur Seite.
Jetzt erkannte Oliver einen der wuchtigen Überseekoffer. In alten Filmen hatte er solche Ungetüme gesehen.
Die Schnallen hingen zumindest nicht im Rost fest. Das konnte nur bedeuten, dass das Ding verdammt schwer war. Er zerrte daran.
»Warte, ich schiebe von der anderen Seite.«
Tatsächlich bewegte sich der Koffer erst, als Daniel mithalf. Stück um Stück kam das wuchtige Ungeheuer zum Vorschein. Als sie es endlich geschafft hatten, rann Oliver der Schweiß in den Bund seiner Hose. Sein Herz raste und all seine Muskeln brannten. Allerdings fühlte es sich auf unbeschreibliche Weise gut und richtig an.
Daniel ließ sich neben ihm nieder.
Sein Gesicht glühte. Schweiß glitzerte auf seiner Haut. Sein Atem ging stoßweise. »Was hat er da drin? Blei?«
Oliver öffnete die Schnallen.
Daniel griff an ihm vorbei und ließ die Verschlüsse aufschnappen.
Sein Mund wurde trocken. Blut pulsierte in Hals und Ohren. Nervös befeuchtete er sich die Lippen, als er seine Hände auf den Deckel legte. Daniels Finger berührten die seinen.
»Bitte lass es keinen Haufen alter Zeitungen sein«, flüsterte Daniel.
Vorsichtig hob Oliver den Deckel an.
Unmengen alter Bilder, Alben, Bücher und Schlüssel kamen sauber und ordentlich zu Bündeln gepackt und mit weißen Seidenschleifen versehen zum Vorschein. An die Seite gepresst steckte ein altes Gewehr. Der Lauf war rostig. Einige Schachteln Munition standen daneben. Das Patronenfett hatte den uralten Pappkarton durchgeweicht und hässliche Flecken gebildet.
»Das ist vielleicht, was wir brauchen.«
Daniels Wangen glühten noch immer, als er sein Handy aus der Tasche zog und die Kurzwahltaste drückte. »Matthias, komm bitte ganz schnell hoch.«
Die einzige Überlebende
M öglich, dass sie sich zu viel versprachen, doch Oliver fühlte sich unendlich erleichtert. Sie waren gegen den Willen von Roth und Walter hier. Das bedeutete, dass Erfolge diese Aktion begleiten mussten – zwingend.
Nun galt es, herauszufinden, ob der Fund wirklich von Bedeutung war.
In jedem Fall brannte Olivers Neugier heißer denn je. Ein Koffer voller Erinnerungen und Geheimnisse eines fremden Lebens … Er griff nach einem der verschnürten Bilderstapel. Kleinformatige Fotografien, schwarz-weiß oder sepia, mit den typisch gezackten Rändern.
Olivers Herz schlug schneller, als er über die Aufnahmen strich. Behutsam löste er das weiße Seidenbändchen.
Daniel neigte sich zu ihm. »Es ist, als würde man in die Vergangenheit schauen, nicht?«
Oliver nickte. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, was das für ein Gefühl ist. Ich stehe total auf alte Sachen – und die hier bringen die Geschichte meiner Familie mit.«
»Ich kann’s verstehen. Mir geht es nicht anders.«
Jemand klopfte an den Glaseinsatz der Wohnungstür. Die kleinen, bleigefassten Scheiben klapperten.
»Das ist sicher Matthias. Ich mache mal auf.«
Er fuhr sich demonstrativ über den Kiefer. »Behalt mich in Erinnerung, wie ich jetzt aussehe.«
Oliver warf ihm einen Blick zu und lachte auf. »Quatschkopf. Du kannst dich ruhig meiner zermatschten Visage anpassen.« Er deutete auf seine Nase.
»Das kann schnell passieren, wenn Matthias noch immer so angepisst ist wie am Telefon.«
Er stand auf und verließ den Raum.
Oliver strich die Bänder zur Seite und betrachtete das Bild einer lächelnden, blutjungen Frau in einem hell geblümten Kleid. Wie Walter hatte sie helles Haar. Kornblumen steckten in ihren dichten Locken. Sie hielt die weiche schimmernde Flut locker am Hinterkopf zusammen. Ein paar Strähnen lagen über ihren Augen. Dem Lichtspiel nach zu urteilen, stand sie unter einem Baum, durch dessen Blätter die Sonne fiel. Sie hatte volle Lippen, einen breiten, schönen Mund und wundervolle Augen. Auf
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