Der Rebell - Schattengrenzen #2
gelebt zu haben. Kindsgeburten hatte es nur noch eine einzige im Jahr 1969 gegeben, Silke, seine Mutter.
Im Gegensatz zu Matthias’ Vater zeigte sie immer eine beneidenswert stabile Gesundheit. Selbst exzessives Rauchen und der starke Genuss von Alkohol reichten nicht, um ihr zu schaden. So lang er sie kannte, hatte sie selten mehr als Husten oder Schnupfen. Sie hatte sich immer selbst kuriert und es, zumindest als er noch ein Kind war, geschafft, ihn zumeist unbeschadet durch die kalte Jahreszeit zu bringen. Ihre Mutter hatte nach Silkes Geburt nur noch sechs Jahre gelebt.
Vielleicht fantasierte Matthias’ Großmutter doch?
Er konnte sich Walter einfach nicht als Giftmörder vorstellen. Das war albern. Der alte Mann besaß wirklich viele Negativseiten, aber Vergiftungen zählten doch zu den offensichtlichsten Verbrechen und fielen unter die Kategorie Frauensache.
Eine Erklärung bot sich nicht. Besser, er schob die Auflösung auf einen anderen Zeitpunkt.
Er blätterte um. Der erste Eintrag war das Todesdatum von Erna Markgraf. Zumindest dieses Rätsel klärte sich auf. In Walters kantiger Handschrift war es mit 1976 vermerkt. Warum hatte er es hier eingetragen, zumal nicht einmal das Todesdatum von ihrem Exmann festgehalten worden war?
Vielleicht, nein ganz sicher stand es auf den herausgetrennten Seiten. Damit hatte Erna Rudolf um mindestens dreißig Jahre überlebt.
Danach folgten die Eintragungen über die Eheschließung zwischen Silke Markgraf und Thomas Hoffmann sowie alle Kinder, ausnahmslos, sogar Elli. Alle weiteren Seiten blieben leer. Er hatte die Todesdaten nicht eingetragen. Wollte Walter nicht wahrhaben, dass Silke, Elli und Marc nicht mehr lebten? Wie zur Bestätigung seines Gedankens wandte Daniel sich dem Spiegel zu.
»Walter konnte es nicht akzeptieren.«
Geheimnisse unter der Oberfläche
E inige sauber geführte Fotoalben tauchten auch noch aus den chaotischen Untiefen des Kleiderschrankes auf, ebenso etliche Schlüssel, die sich auf den ersten Blick nicht zuordnen ließen und vor allem ein Karton mit alten Briefen und Karten, die seine Eltern an Walter geschrieben hatten. Ihnen blieb nicht genug Zeit, alle Dokumente zu sichten. Zu mehr als einem oberflächlichen Blick reichte es kaum.
Gegen zehn sah Matthias wieder nervös auf seine Uhr.
Wahrscheinlich wurde Walter dem Untersuchungsrichter vorgeführt.
»Wie lang noch?«
Statt zu antworten, verließ Matthias das Schlafzimmer.
Oliver hörte ihn im Wohnzimmer suchen.
»Da waren wir schon.«
Die Geräusche aus dem Raum wurden lauter.
Oliver zuckte die Schultern. Was auch immer Matthias zu finden hoffte …
»Ich denke, er sucht nach Beweisen, die unser Hiersein rechtfertigen.« Daniel deutete auf den Hasen, der sich an Olivers Bein schmiegte. »Allein deswegen.«
Wahrscheinlich würden Weißhaupt und Roth ihre beiden Assistenten ungespitzt in den Boden rammen, wenn sie hiervon erfuhren. Gar nicht auszudenken, welche Konsequenzen das für Daniel und Matthias haben konnte, besonders weil Matthias und Bernd bereits »strafversetzt« worden waren.
»Wie schlimm kann es für euch werden?«
Daniel zuckte mit den Schultern. »Wir können abgezogen und suspendiert werden.«
Suspendiert? Das war der Worst Case. Einen Anschiss zu kassieren war die eine Sache, aber aus dem Verkehr gezogen zu werden, bedeutete sicher einen Aktenvermerk.
Er schluckte. »Ihr riskiert gerade Kopf und Kragen für mich.«
»Unsinn.« Daniel blinzelte ihm zu. »Ich befriedige nur meine Neugier – nichts weiter.«
»Lass die Scherze.« Er nahm den Hasen auf den Arm und stand auf. »Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Ihr findet was und könnt Walter länger in Untersuchungshaft behalten oder wir verziehen uns und tun so, als wären wir drei nur zum Frühstück unterwegs gewesen.«
»Genau. Aber das geht schon wegen des fetten Fellballs nicht. Du kannst sie nicht wieder in ihren Käfig sperren.«
Der Hase zuckte nervös mit den Ohren. Schwarze Augen schienen plötzlich jede Bewegung einzufangen.
»Sie?« Oliver strich dem Tier über den Kopf.
»Ja, sie.« Er wies mit dem Finger zu ihrer Rückseite. »Das ist eine Häsin. Die pelzigen Klöten fehlen.«
»Du bist also ein Mädel?« Er musterte sie skeptisch.
»Weibliche Nager sind im Allgemeinen größer und schwerer als Männchen. Ist auch bei Meerschweinchen nicht anders.«
Oliver drückte sie an sich. »Dich stecken wir nicht wieder in die Käfige, Kleines.«
Die Mimik des Tieres
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