Der Rebell - Schattengrenzen #2
kann.«
Matthias sah auf den Koffer, bevor er den Blick wieder hob. Wut glomm darin. »Die Wahrheit, was?« Er strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Die Wahrheit ist, dass meine Großmutter nach ihrer Flucht vor Walter und aus Wiesbaden über Monate Vergiftungserscheinungen aufwies. An den Spätfolgen leidet sie noch immer.« Speichel sammelte sich in seinen Mundwinkeln. In seiner Stimme lag wieder dieser hysterische Unterton. »Sie war der Meinung, dass sie systematisch umgebracht werden sollte. Und ich denke, dass sie recht hat.« Er ballte beide Hände zu Fäusten. »Schließlich ist sie die einzige seiner Frauen, die noch lebt.«
Walter als schwarzer Witwer? Warum deckte sich diese Theorie so verdammt genau mit dem, was er schon dachte? Wo lag zwischen all den ganzen Fragmenten, die sie in Händen hielten, die Wahrheit? Fraglos kam er ohne Matthias nicht annähernd so weit, wie er es wollte. Im Gegenzug dazu kannte Oliver Walter zumindest leidlich gut und hatte als Trumpf Michael und Chris, die innerhalb des letzten Dreivierteljahres mehr mitbekommen haben dürften, als ihnen guttat. Wenn sie all ihre Ideen und Informationen zusammentrugen, käme vielleicht ein brauchbares Ergebnis heraus. Insofern Matthias mitspielte.
»Dann schlage ich dir vor, dass wir einander helfen«, sagte Oliver aus seinen Überlegungen heraus.
Matthias verdrehte die Augen. »Auch wenn du es nicht gern hörst, Oliver, aber du bist noch ein Kind. Wie willst du mir denn helfen?«
Die Worte rannen säureartig durch sein Bewusstsein. Ein Kind – immer wieder derselbe scheiß Spruch. Sah ihn überhaupt jemand als andeutungsweise gleichwertig an? Er presste die Kiefer aufeinander. Wenn er jetzt darauf einging, würde er platzen. Aber was half es schon. Wenn Matthias der Meinung war, würde ein Wutanfall ihn höchstens bestärken. Früher oder später kam die Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, dass er kein Kind mehr war.
Er schluckte seine Wut und wandte sich an Daniel.
»Schauen wir, dass wir noch ein paar Informationen finden.«
Wenn ihnen nicht viel Zeit blieb und die Gefahr bestand, dass Walter binnen der nächsten Stunden nach Hause kam, musste er sich noch einmal gründlich umschauen. Der Koffer war natürlich eine unschlagbare Entdeckung – aber vielleicht gab es noch mehr Hinweise.
Warum der Hase hinter Oliver herhoppelte , konnte er nicht sagen, aber das Langohr verhielt sich wie ein dressierter Hund. Auf Schritt und Tritt folgte ihm das Tier. Mehrfach musste er aufpassen, nicht über den dicken Fellball zu fallen, wenn er unvermittelt hinter ihm auftauchte.
Erst diese elende innere Stimme, die sich ewig lang nicht hatte abschütteln lassen, nun ein Hase. Irgendwie befand sich seine Realität im Sinkflug.
Während Daniel seine Suche wieder aufnahm, sah Oliver sich den Inhalt der Nachttischschubladen an. Medikamente gegen Bluthochdruck, andere, die die Durchblutung förderten, ein paar Sachen gegen Erkältung und Kopfschmerztabletten, alles in allem weitaus weniger spannend als erwartet. Einen nicht sonderlich schönen Anblick bot der Keramik-Nachttopf, der im Nachtschrank verborgen stand. Dem Geruch nach wurde er auch noch genutzt. Rasch verschloss er die Tür wieder. Daniel, der sich erboten hatte, auf der anderen Seite des Bettes nachzusehen, rollte demonstrativ mit den Augen.
»Und, was hast du?«
Er hob eine antike Bibel an und reichte sie ihm über die schmutzigen Laken. Allein der Staub auf dem samtenen Cover mit der golden eingelegten Darstellung eines Jesus am Kreuz verdeutlichte, dass das Buch der Bücher keinen besonderen Stellenwert im Haus Markgraf besaß. Aber warum hob er die Bibel in der Nachttischschublade auf?
Matthias, der im Türrahmen lehnte, die Arme vor der Brust verschränkt, gab es auf, demonstrativ auf seine Armbanduhr zu sehen und kam zu Oliver. »Die Familienbibel, wie ich mal annehme.«
Oliver zuckte mit den Schultern und schlug die ersten Seiten auf. Ein handgezeichneter Stammbaum verästelte sich nach unten. Allerdings fanden sich hierin nur Daten und Namenskürzel. Matthias hatte recht. Offenbar war für ihn all das hier auch neu.
Aber hier hatte kein Polizist – abgesehen von Daniel – je auch nur irgendetwas angerührt. Warum suchte Roth nicht aktiver nach Beweisen?
Ein schwacher Verdacht kroch in ihm auf. Er musterte Matthias. Verhinderte er die Durchsuchung? Wahrscheinlich besaß er dazu gar nicht die Möglichkeit … trotzdem wurde er den Verdacht nicht los.
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