Der Rebell
verließen Belamar, wo sie soviel Unheil angerichtet hatten.
»Alaina, komm mit mir ins Haus«, bat Ian. »Du kannst nichts mehr für deinen Vater tun.«
Aber sie rührte sich nicht.
»Laß ihr Zeit«, mahnte Julian.
Die Minuten dehnten sich zu einer Stunde.
Schließlich seufzte Julian. »Ich glaube, jetzt ist genug Zeit verstrichen.«
Ian nickte seinem Bruder zu. Besorgt musterte er Alainas bleiches, tränennasses Gesicht. Sie schien nichts zu sehen, nichts zu hören und flüsterte immer nur: »Papa, Papa ...« Unablässig streichelte sie die Wange des Toten.
»Komm jetzt, Alaina!« drängte Ian und versuchte, sie auf die Beine zu ziehen.
»Nein! Nein!« schrie sie.
»Um Himmels willen, Jerome, Julian — bringt Teddy weg!«
Alaina klammerte sich mit aller Kraft an die blutüberströmte Leiche. Unter der südlichen Sonne würde die Verwesung bald einsetzen.
Nachdem es den Männern endlich gelungen war, Teddy aus Alainas Armen zu lösen, schluchzte sie so heftig, daß Ian ernsthaft um ihre Gesundheit bangte. Er hob sie hoch, trug sie ins Haus und folgte Jennifer ins Zimmer seiner Frau. Behutsam legte er sie aufs Bett, setzte sich zu ihr und strich über ihr feuchtes Haar.
»Bitte, Alaina, hör zu weinen auf.«
Sie schien ihn nicht zu erkennen — oder nicht zu beachten. Und so saß er neben ihr, während die Schatten der Abenddämmerung in den Raum krochen. Allmählich verebbte das Schluchzen.
Als er Seidenröcke rascheln hörte, wandte er sich zu Jennifer, die hereingekommen war. »Julian und Jerome erwarten dich auf der Veranda, Ian. Inzwischen bleibe ich bei Alaina.«
»Danke. Ich kann ihr ohnehin nicht helfen.«
»Doch, sie spürt deine Nähe.« Mitfühlend drückte sie seine Hand. Auch ihre Augen waren rotgeweint. Teddy hatte ihr sehr viel bedeutet.
Liebevoll nahm Ian seine Kusine kurz in die Arme, dann verließ er das Zimmer.
Die beiden jungen Männer standen neben Teddys Leiche, die auf dem langen Verandatisch lag. Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen, von einer kühlen Brise begleitet. Julian hatte das Blut von der Brust des Toten gewaschen.
In tiefer Trauer berührte Ian das weiße Haar seines Schwiegervaters und erinnerte sich an die vielen lehrreichen Gespräche, die sie geführt hatten. »Warum hat dieser Deserteur ihn getötet? Als Geisel wäre er dem Schurken viel nützlicher gewesen.«
Julian wischte sich die Hände an seiner Chirurgenschürze ab und griff nach einer kleinen Schüssel, die neben der Leiche auf dem Tisch stand. »Mit dieser Kugel wurde Teddy erschossen.«
»Schau sie mal ganz genau an, Ian«, bat Jerome.
Ian nahm die Kugel aus der Schüssel und entdeckte eine Delle, die vom Zusammenprall mit Teddys Rippen stammte. »Offensichtlich ein Army-Geschoß.«
»Ja, zweifellos«, bestätigte Julian.
»Nun, die Männer waren Deserteure.«
»Der Tote, der im Obstgarten lag, trug eine einschüssige Sharps-Pistole bei sich.«
Also war Teddy von einem unerfahrenen, schießwütigen Rekruten umgebracht worden. Heißer Zorn stieg in Ian auf, und er wünschte, Alaina müßte diese beklagenswerte Tatsache nicht erfahren. Aber sie hatte ein Recht auf die Wahrheit. Außerdem würde eine Untersuchung stattfinden. Die Army war verpflichtet, die Zivilisten zu schützen und durfte sie nicht umbringen.
Mühsam bezwang Ian seine Wut und holte tief Atem. »Wenn Alaina einverstanden ist, werden wir Teddy morgen nachmittag begraben, zwischen seinen geliebten Limonenbäumen. Soviel ich weiß, stapeln hinter dem Haus immer ein paar Kiefernbretter. Hilf mir morgen früh, einen Sarg zu zimmern, Jerome. Nach der Bestattung müßt ihr beide die Kugel ins Fort Taylor bringen. Ich will meine Frau nicht allein lassen. Aber der Fall sollte möglichst bald untersucht werden.«
»O ja«, stimmte Jerome zu. »Das hätte nicht passieren dürfen.«
»Allerdings nicht. Julian, ich mache mir Sorgen um Alaina. Kannst du ihr vielleicht ein Beruhigungsmittel geben?«
Julian nickte, und Jerome drängte seinen Vetter: »Am besten kümmerst du dich sofort um sie. Hier kannst du nichts mehr tun. Inzwischen halte ich bei Teddy Wache.«
Als Ian mit Julian zu Alaina zurückkehrte, wurde ihm bewußt, daß er an diesem Tag den Raum, in dem sie aufgewachsen war, zum erstenmal betreten hatte.
Am Baldachin über dem Bett hingen Moskitonetze. Hübsche Möbel aus Kirschbaumholz bildeten die Einrichtung. Vor dem Kamin standen zwei Polstersessel, mit dunkelblauem Brokat bezogen. Eine Glastür führte zum Balkon
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