Der Rebell
Natürlich, wenn ihr Vater nicht unter der Erde lag, würde er verwesen, von Fliegen umschwirrt. Dieser Gedanke jagte einen Schauer durch ihren Körper, und sie kämpfte wieder mit den Tränen.
»Kann ich dich ein paar Minuten allein lassen? Ich hole Lilly oder Jennifer.«
»Nein, ich brauche niemanden. Ich möchte allein sein.«
Prüfend schaute er sie an, dann wandte er sich ab und verließ das Zimmer.
Sie setzte sich auf. So schwer es ihr auch fiel, sie mußte sich den Tatsachen ihres veränderten Lebens stellen.
»Mrs. McKenzie?« Die Tür öffnete sich, und Lilly kam herein. »Bleiben Sie noch ein bißchen im Bett.« Hinter ihr erschienen Delby und Jean, zwei Mischlinge, die auf den Plantagen ihres Vaters arbeiteten. Die beiden schleppten eine dampfende Sitzbadewanne herein und stellten sie in der Mitte des Raumes ab. »Jetzt müssen Sie erst mal das Salzwasser wegwaschen, Missus«, fuhr Lilly fort, »und vielleicht ein bißchen was von Ihrem Kummer. Entspannen Sie sich im warmen Wasser, denken Sie an andere, schönere Zeiten.«
Bedrückt nickten die Männer ihrer Herrin zu, die Sonnenhüte in den Händen, und entfernten sich wortlos.
»Danke, Lilly, Sie sind sehr nett.« Zögernd stand Alaina
auf.
»Kommen Sie, Missus, steigen Sie in die Wanne. Ich wasche Ihr Haar. Wissen Sie, Ihr Vater ist gar nicht weggegangen. Er wird immer bei Ihnen bleiben und bei Ihrem Baby. Gestern mußten Sie schmerzliche Stunden ertragen. Und heute beginnt die Heilung.«
Niemals wird die Wunde in meinem Herzen verheilen, dachte Alaina, während sie in der Wanne saß. Aber das warme Wasser fühlte sich angenehm an. Die Augen geschlossen, überließ sie sich den sanften Händen der Dienerin, die ihr das Haar wusch. Danach wurde sie in ein großes Badetuch gehüllt, und Lilly half ihr beim Ankleiden.
Alaina faßte sich allmählich. Keine Tränen mehr, ermahnte sie sich. Sie weinte tatsächlich nicht — nicht einmal, als sie den Salon betrat und ihren Vater in einem hastig gezimmerten Sarg liegen sah. Er trug seinen besten schwarzen Anzug und ein weißes Hemd. Liebevoll strich sie über seine Wange und versprach ihm, er würde in ihrem Herzen immer weiterleben. »Und ich werde Belamar nie verlassen, Papa«, flüsterte sie. »Diese wunderbare Insel will ich stets für dein Enkelkind bewahren.«
Den ganzen Tag blieb sie neben seinem Sarg sitzen. Sie begruben ihn kurz nach Sonnenuntergang, zwischen den Limonenbäumen, die er so geliebt hatte.
Jerome war am Morgen nach Hause gesegelt, um seine Eltern zu holen. Gegen Mittag war er mit James und Teela zurückgekehrt. Außerdem brachte er zwei Gäste der McKenzies mit — Colonel Harrington, den alten Freund seiner Mutter, und einen Episkopalpriester, der die Army-Truppen in den Keys betreute.
Feierlich wurde Teddy zu Grabe getragen. Der junge Priester las bewegende Worte aus der Bibel vor. Danach hielt James eine Rede, um seinen Freund Teddy zu würdigen, der den Mut besessen habe, ein Heim in der Wildnis aufzubauen. Ian erklärte, Teddys Enthusiasmus, seine Güte und sein Wissen, seien stets ein Licht im Dunkel schwerer Zeiten gewesen. Auch Jerome, Julian, Jennifer, Teela und Lawrence Malloy nahmen in bewegenden Worten Abschied von ihrem toten Freund, und Alaina hörte ihnen in tiefer Dankbarkeit zu.
Schließlich wurde der Sarg in die Erde hinabgesenkt.
Alaina versuchte sich mit dem Gedanken zu trösten, daß ihr Vater seine letzte Ruhe an einem Ort finden würde, wo er glücklich gewesen war. Auf Ians Arm gestützt, trat sie an den Rand des Grabes und warf eine Orchidee hinab. Während er sie zum Haus führte, hörte sie, wie sein Bruder und sein Vetter Erde auf das Kiefernholz schaufelten — ein Geräusch, das in seiner Endgültigkeit grauenhaft klang. Asche zu Asche, Staub zu Staub ...
14
Alaina hielt das Versprechen, das sie sich selbst gegeben hatte, und weinte nicht mehr. Merkwürdigerweise fiel es ihr sogar leicht. Vielleicht hatte sie alle ihre Tränen bereits vergossen, in den ersten Stunden nach Teddys Tod.
Ian blieb an ihrer Seite, Jennifer und Teela kümmerten sich um den Haushalt. Wie so oft in schwierigen Zeiten, konnte man sich rückhaltlos auf die McKenzies verlassen.
Nach dem Dinner brachte James den Colonel und den jungen Priester mit der Windrunner zu ihrem Boot zurück, das an seinem Dock lag. Die anderen Männer rauchten auf der Veranda Zigarren und tranken Brandy, während Jennifer und Teela bei Alaina im Salon saßen.
Wehmütig starrte sie das
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