Der Rebell
...«
Energisch ergriff er ihren Arm und führte sie zu den Stufen. »Du darfst dich nicht überanstrengen.« Während sie die Treppe hinaufstiegen, erklärte er: »Die Dienstboten wohnen im zweiten Stock. Und das ist dein Zimmer.«
Er öffnete eine Tür, direkt neben dem Treppenabsatz, und Alaina betrat einen gemütlich ausgestatteten, großen Raum. In der Mitte stand ein breites Bett mit einer dicken weißen Steppdecke. Die hellblau gemusterte Tapete bildete einen hübschen Kontrast zu den dunkel gebeizten Möbeln aus Kiefernholz.
»Wie schön«, murmelte sie und verbarg ihre Enttäuschung. Es war ihr Zimmer. Nicht seines. »Und wo schläfst du?«
»Nebenan. Vorerst ist das die beste Lösung. Ich würde dich und das Baby nur stören.«
»Unsinn ...«
»Außerdem habe ich in letzter Zeit kaum geschlafen, und ich brauche etwas Ruhe. Da drüben findest du den Waschtisch und hinter dem Wandschirm eine Sitzbadewanne. Über dem Kamin hängt ein Kessel, darin kannst du Wasser erwärmen. Wenn du irgendwas brauchst, mußt du nur am Glockenstrang neben dem Bett ziehen. Nun werde ich dich allein lassen. Soll ich Lilly zu dir schicken?«
»Nein, danke, ich komme schon zurecht.«
»Schlaf gut.« Er küßte ihre Stirn, dann ging er ohne ein weiteres Wort hinaus.
Seufzend sank sie aufs Bett, fühlte sich einsam und elend. Warum wollte Ian die Nächte nicht mit ihr verbringen? Weil er in Washington andere Interessen verfolgte? Würde er die Tochter des Colonels Wiedersehen? Natürlich war sie viel zu stolz, um ihm solche Fragen zu stellen.
Die Dienstboten hatten ihre Truhe aus dem Wagen geholt und heraufgetragen. Mühsam, durch ihren Zustand behindert, zog sie ihr Reisekostüm und die Unterwäsche aus und schlüpfte in ein Nachthemd. Dann lag sie unter der weichen Steppdecke und starrte ins Dunkel.
Irgendwann schlief sie ein, aber wenig später wurde sie geweckt, weil Stimmen von der Veranda heraufdrangen. Sie trat ans Fenster. Als sie die schweren Brokatvorhänge auseinanderschob, sah sie ihren Mann und Henry auf den Stufen stehen. Was die beiden besprachen, konnte sie nicht verstehen. Ein junger Stallknecht führte Pye um die Hausecke herum, und Ian schwang sich in den Sattel.
Ohne einen Blick zurückzuwerfen, ritt er in die Finsternis. Wütend und gekränkt fragte sie sich, wo er den Rest der Nacht verbringen würde.
Sie beschloß, kühle Distanz zu wahren, was ihr nicht schwerfiel, weil Ian nur selten zu Hause blieb. Wie sie den Zeitungen entnahm, bemühte sich der Kongreß immer noch um einen Kompromiß. Doch sie wußte, daß die Repräsentanten Floridas, die sich in Washington aufhielten, vom Heeresminister genaue Angaben über die militärischen US-Einrichtungen in ihrem Staat verlangten. Auch South Carolina hatte Vertreter in die Hauptstadt geschickt, um solche Informationen einzuholen.
In den wenigen Stunden, die Ian daheim verbrachte, begegnete er seiner Frau höflich und rücksichtsvoll — aber wie ein Fremder. Manchmal hätte sie ihn am liebsten geohrfeigt. Wenn sie erwachte, hatte er das Haus bereits verlassen. Erst abends kehrte er zurück, und sie aßen zusammen.
Wann immer sie nach der politischen Lage fragte, fertigte er sie mit knappen, nichtssagenden Antworten ab und wechselte abrupt das Thema. Als sie erklärte, sie würde gern die Stadt besichtigen, erwiderte er, die Straßen seien vereist und rutschig. Einer solchen Gefahr dürfe sie sich in ihrem Zustand nicht aussetzen.
Was ihn von ihr fernhielt, wußte sie nur zu gut. Da sie verschiedener Meinung waren, was den Konflikt zwischen den Nord- und den Südstaaten betraf, wollte er nicht mit ihr streiten. Deshalb ging er ihr aus dem Weg. Sie fürchtete, ihn zu verlieren. Aber wie sollte sie um ihn kämpfen?
Eine Woche nach ihrer Ankunft brachte ihr der Butler einen Brief von Ian.
Colonel Magee hat mir dringend empfohlen, Mrs. Greenhows Einladung zum Dinner anzunehmen. Wie Du weißt, habe ich wegen Deines Zustands abgesagt. Aber wahrscheinlich ist sie die bedeutsamste Gastgeberin von Washington. Vor einigen Jahren starb ihr Mann. Sie hatte ihm vier Kinder geschenkt. Nach dem Tod ihrer Tochter Gertrude zog sie sich aus dem Gesellschaftsleben zurück. Aber neuerdings gibt sie wieder Parties — vor allem aus diplomatischen Gründen, um in diesen schwierigen Zeiten politische Gegner zusammenzuführen. Allzulange werde ich nicht bleiben. Warte bitte nicht auf mich.
»Möchten Sie in Ihrem Zimmer dinieren, Ma'am?« schlug Henry vor.
»Nein.«
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