Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Titel: Der Regen in deinem Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
vielsagende Blicke zu tauschen, und rumkichern wie die Affen im Zoo. Auf einmal fühle ich mich noch einsamer als zu Beginn meiner Einsamkeit, und es nervt mich, jemand könnte denken, ich und Gabriele seien zusammen. Doch dafür hasse ich ihn nicht, ich hasse ihn, weil er nicht hier ist. Und wenn er absichtlich nicht gekommen ist? Das würde bedeuten, dass es ihm auch nicht so egal ist, was die anderen denken. Und seine Maurerfreunde, wissen die von unserem Ausflug ans Meer? Niemand weiß etwas, sage ich mir, es ist ein Geheimnis, diese blöden Ziegen haben heute einfach nichts Bessereszu tun. Trotzdem lässt mich der Gedanke nicht los, dass niemand gestichelt hätte, wäre er heute hier gewesen. Natürlich hätte es Blicke und das übliche Gekicher gegeben, aber keiner hätte sich so weit vorgewagt. So ein Feigling. Morgen komme ich nicht in die Schule.
    Bye bye Zero, Zeta fährt in die Stadt.

Teresas Haus
    In manchen Momenten begreife ich, dass du tot bist, und nehme alles hin: Die Wohnung, die mir fremd geworden ist, deine Sachen, die allmählich in die Welt der vergessenen Dinge abdriften. Jetzt begreife ich, dass dein Tod sich in allem wiederholt, auch in mir: Dein Tod ist mein Tod.
    Ich kann mich noch an Nonnas Freundin Teresa erinnern, die ganz allein in ihrer riesigen Wohnung zurückblieb. Als ich klein war, nahm mich Nonna manchmal zu ihr mit. Seit die Kinder aus dem Haus waren und der Mann gestorben war, blieben viele Zimmer verschlossen, die Fensterläden angelehnt. Drinnen herrschte ewiges Dämmerlicht und das Schweigen von Dingen, die den Geruch ihrer leblosen Umgebung angenommen hatten. Die einzigen Zimmer, die sie noch benutzte, waren die Küche und ihr Schlafzimmer am Ende des Flurs. Alles andere gehörte einer fernen, stummen Vergangenheit an, die ihren Schmerz in die Dunkelheit schrie. Es war so still, dass man fast meinte, die Stimmen und Geräusche von damals zu hören, als alles am Anfang stand, die Erwachsenen redeten und die Kinder spielten.
    Die arme Teresa, sie machte mich so traurig. Als ich es meiner Mutter sagte, meinte sie, ich müsse nicht mitgehen, und dann hörte ich, wie sie Nonna Vorhaltungen machte. Ich dachte schon, sie wäre sauer, doch sie kam zu mir und sagte nur: »Wieso hast du es der Nonna nicht gleich gesagt?« Ich hatte es nicht getan, weil Signora Teresa mir leidtat. Ich glaube,meine Mutter spürte es, und sie erzählte mir eine Geschichte von Signora Teresa und ihren Enkeln, die sie besuchten und ihr Kuchen mitbrachten. Ich wusste, dass das nicht stimmte, aber ich fühlte mich trotzdem besser.
    Ich glaube, sterben ist auch das: Gewisse Dinge nicht mehr zu benutzen, gewisse Zimmer nicht mehr zu betreten. Wir schließen die Vergangenheit weg, bis die Last der Erinnerungen uns nicht mehr erreicht.

30. November
    Auch heute gehe ich nicht zur Schule: Als ich das Schultor sehe, drehe ich bei und verschwinde. Schließlich habe ich Geburtstag und darf mir ein bisschen Zerstreuung gönnen, schlechtes Gewissen hin oder her.
    Die Wahrheit ist: es ist mein erster Geburtstag ohne dich, und ich will niemanden sehen. Nonna hat es gespürt, denn als sie heute Morgen zum Gratulieren in mein Zimmer kam, hat sie mich nur fest und wortlos umarmt. Erst in der Küche hat sie mich gefragt, was ich mir wünsche. Sie habe nichts besorgt, weil sie fürchtete, es könnte das Falsche sein, und ich solle mir etwas aussuchen. Ich habe keine Ahnung, was ich haben will. Also habe ich gesagt, ich würde drüber nachdenken, und sie gebeten, eine schöne Torte für Samstag zu backen, wenn Angela und Claudia zum Feiern kommen. Sie waren die Ersten, die heute Morgen um sieben angerufen haben, um mir zu gratulieren und sich fürs Wochenende einzuladen. Achtzehn zu werden ist was Besonderes, meinte Angela, das kann man nicht einfach unter den Teppich kehren. Statt die Wahrheit zu sagen, habe ich mich bedankt und Nonna gesagt, dass wir Samstag zusammen Mittagessen würden.
    Als Erstes gehe ich frühstücken in die Bar an der Piazza. Danach ein langer Spaziergang am Meer. Ich bin jetzt volljährig, da ist es mir egal, ob mich jemand sieht und mich verpfeift: an wen überhaupt? Seltsam, plötzlich fühle ich mich allzu frei. Als könnte ich mich verlieren und nicht mehr zurückkehren.
    Die Sonne scheint, und am Meer ist es wunderbar. Ich versuche an nichts zu denken, weder an die Schule noch an zu Hause, an gar nichts, aber je mehr ich mich bemühe, umso größer wird das Gefühl der Einsamkeit. Eine halbe

Weitere Kostenlose Bücher