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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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entnahm ihr jetzt eines von Tretjaks Kassenbüchern, die sie beim ersten Termin mitgenommen hatte. Sie war verwundert gewesen, dass er etwas so Altmodisches für seine Buchführung benutzte. Tretjaks Kassenbücher waren schwarze Kladden, DIN A4, die nach einem ganz einfachen Prinzip funktionierten: Links waren handschriftlich die Einnahmen verzeichnet, rechts die Ausgaben, unten auf jeder Seite waren die Zahlen beider Spalten aufsummiert. Auf der jeweils nächsten Seite erschienen diese Summen oben als Übertrag. Die aufgeführten Beträge waren mit Auftragsnamen und Stichworten wie
Flugticket Rom
oder
Honorarabschlag
bezeichnet. Die Belege zu den Einträgen waren separat in Ordnern abgeheftet, die Tretjak zur Vorbereitung des Termins auf dem Tisch in seiner Küche aufgereiht hatte.
    Das Kassenbuch, das Fiona Neustadt jetzt aufschlug, war gespickt mit selbstklebenden gelben Zetteln. Tretjak sah, dass auf jedem eine Notiz stand, meistens mit einem Fragezeichen am Ende. Fiona Neustadt hatte eine kantige, beinahe männliche Schrift, fiel ihm auf.
    »Sie sehen«, sagte sie, »es liegt einige Arbeit vor uns. Aber ich kann Sie beruhigen, das sieht nach mehr aus, als es ist. Die meisten Fragen sind harmlos, ich ahne die Antwort und benötige oft nur eine Bestätigung.«
    So begann dieser Nachmittag mit einem gemeinsamen Kaffee in der Sonne.
    Tretjak hatte sich schon am frühen Morgen, auf der Fahrt zu seiner Verabredung am Flughafen, dabei ertappt, dass er sich fast ein wenig freute auf die Begegnung mit der Steuerprüferin. Im Gegensatz zu anderen Menschen hatte er keinerlei Befürchtungen, was die Überprüfung seiner Bücher anging. Ihm war immer klar gewesen: Sein Geschäft spielte sich vorwiegend in Grauzonen ab, rechtlichen Grauzonen, moralischen Grauzonen, es lebte von Diskretion, vom Agieren im Hintergrund und Verborgenen – zu alldem auch noch eine undurchsichtige Buchhaltung, das konnte er sich nicht leisten. In seinem Job hatte er es mit vielen Gegnern zu tun, immer wieder neuen, immer wieder anderen. Es war wichtig, sie zu identifizieren und zu kennen. Unnötige Gegner musste man vermeiden. Beim Finanzamt war das ganz einfach. Man musste nur pünktlich bezahlen. Und genau das tat er. Er konnte also die Gesellschaft dieser interessanten Frau genießen. Fiona Neustadt war intelligent, hübsch – und sympathisch. Er konnte sich von ihr ablenken lassen von den beunruhigenden Gedanken, die immer wieder anklopften. Hatte der Mord an Kerkhoff etwas mit ihm zu tun? Was war das für eine Sache mit seiner Putzfrau? Was und vor allem wer steckte dahinter? Warum nur hatte er dem Kommissar die falsche Antwort gegeben? Als er ihn angerufen und sie korrigiert hatte, war ihm sofort klargeworden, dass der Mann seine Verbindung zu dem Hirnforscher bereits selbst herausgefunden hatte. Er schien wachsam und misstrauisch, er würde beginnen, in Tretjaks Geschäften herumzustochern. Und die Polizei war etwas anderes als das Finanzamt.
    Als Tretjak die Tür zu seiner Wohnung aufstieß, um Frau Neustadt den Vortritt zu lassen, bemerkte er ihr Parfum. Der Duft von Grapefruit, so schien es ihm. Oder Limette? Später, als sie am Küchentisch saßen und arbeiteten, sah er, dass sie am linken Handgelenk neben der alten IWC -Uhr, Modell
Ingenieur
, eines dieser bunten, billigen Stoffbänder gebunden hatte, die mit einem Wunsch verbunden waren und die man so lange tragen musste, bis sie von selbst abfielen. Das war neu, und Tretjak fragte sich, was Fiona Neustadt sich wohl gewünscht hatte.
    Zum Klang der Kirchenglocken, die die Viertelstunden schlugen, arbeiteten sie der Reihe nach die gelben Zettel ab. Einige Fragen drehten sich um Spesen, die nicht einem bestimmten Klienten oder Auftrag zuzuordnen waren. Tretjak dachte an den Landtagsabgeordneten und erklärte Fiona Neustadt, dass nur etwa ein Fünftel der Menschen, die ihn kontaktierten, tatsächlich zu Auftraggebern wurde. Gelbe Zettel klebten auch an all den Stellen der Kladde, an denen Tretjak den Betrag in der Einnahmespalte mit dem Vermerk
bar erhalten
versehen hatte.
Honorar 75 000 Euro, bar erhalten.
Honorar, erster Abschlag, 50 000 Euro, bar erhalten,
Einmal sogar
500 000 Euro, bar erhalten
.
    Tretjak präsentierte zu jedem dieser Einträge die Kopie einer von ihm ausgestellten Quittung, den zugehörigen Einzahlungsbeleg bei der Bank und die korrekte Auflistung in seiner Steuererklärung. Was es aber in diesen Fällen nicht gab, war der Name des Klienten – auf den

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