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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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Tasche ein frisches, blaurotkariertes Hemd.
     
    Mit Polizeibeamten hatte Dimitri nur gute Erfahrungen gemacht in seinem Leben. Egal in welchem Land, Polizeibeamte waren vernünftige, angenehme Burschen. Sie hatten keine Ahnung, was wirklich lief, aber man konnte gut mit ihnen klarkommen. Kommissar Maler, der ihn schon im Speisewagen erwartete, war auch aus diesem Holz geschnitzt. Maler trug ein blassbeiges Hemd, ein graues Sakko, er hatte graue Haut. Dimitri musste an seine Kindheit in Rostow denken, einer grauen Millionenstadt im großen Nirgendwo der damaligen Sowjetunion. Alles dort hatte so farblos ausgesehen wie der Kommissar, die Häuser, die Straßen, die Menschen. Eine Dreiviertelstunde hatten sie Zeit zu reden, dann würde der Kommissar aussteigen und der Zug sich in Bewegung setzen. Und Dimitri würde den Mann vergessen haben – noch bevor der Zug seine Reisegeschwindigkeit erreicht hätte.
    »Ich gestehe, Herr Steiner«, begann Maler das Gespräch, »dass ich etwas ratlos bin, was unser Treffen hier angeht. Aber vielleicht können Sie mir dazu ja etwas Erhellendes sagen.« Er saß vor einem alkoholfreien Bier und einem schwarzen Kaffee. Dimitri hatte ein Weißbier bestellt. »Ich ermittle in einem Mordfall, besser gesagt in zwei Mordfällen«, fuhr Maler fort. »Dabei spielt eine Person eine Rolle, über die ich mehr Informationen benötige. Gabriel Tretjak. Unser Polizeicomputer liefert über ihn ähnlich dürftige Daten wie das Telefonbuch. Aber heute bekam ich plötzlich einen etwas merkwürdigen Anruf vom Bundeskriminalamt.« Er blickte Dimitri an. »Ein gewisser Dieter Steiner könne mir bei den Recherchen weiterhelfen, hieß es. Das Treffen sei schon arrangiert. Sehr viel mehr war von dem Kollegen nicht zu erfahren, er sprach von einer diskreten Angelegenheit, die außerhalb der Zuständigkeit der Polizei liege. Die Informationen, die ich von Ihnen erhalten würde, seien die einzigen, die man mir zugänglich machen würde.« Maler griff nach seiner Tasse, trank ein paar Schlucke und wartete, dass sein Gegenüber etwas sagte.
    Dimitri war immer ein wenig überrascht, wenn jemand den Namen Dieter benutzte, besonders wenn er eine Zeitlang – wie in den vergangenen Tagen – von niemandem mit Namen angesprochen worden war. Mit Steiner hatte er nie ein Problem gehabt, an Dieter konnte er sich nicht gewöhnen. Dieter Steiner, Großer Elbberg 27, 22767 Hamburg, deutscher Staatsbürger. Manchmal, wenn er in dieser Wohnung im neunten Stock aufwachte und über den Hafen blickte, sinnierte er darüber, was das Leben für Wendungen nehmen konnte. Wer hätte je gedacht, dass aus dem kleinen Dimitri Tschernokov einmal ein Dieter Steiner werden würde, ein Mann ohne finanzielle Sorgen, abgesichert vom deutschen Staat, ein Mann, der wie ein König über die Kräne, Kreuzfahrtschiffe und Öltanker blicken konnte, in einer Wohnung, die fast dreitausend Euro Miete kostete. Jeden Morgen wurde er von einem freundlichen Doorman begrüßt, er war privat krankenversichert und konnte zu den besten Ärzten gehen. Obwohl ihm nichts fehlte, leicht erhöhter Blutdruck, das war alles.
    Dimitri war klar, dass er dem Kommissar zunächst eine Vorstellung geben musste, wer ihm gegenübersaß. Also begann er von den zwei Welten zu sprechen: von der einen, in der das normale Leben stattfand, mit Menschen, die ihren Beschäftigungen nachgingen, ihre Kinder in die Schule schickten, sich neue Autos bestellten und von der Polizei dabei beschützt wurden. Und von der anderen, der Schattenwelt, der Welt der Geheimdienste, der Nachrichtendienste, der Agenten und V-Männer, aber auch des organisierten Verbrechens, der Mafia, mit Drogenhandel, Menschenhandel. »In dieser anderen Welt«, sagte er, »haben Gesetze andere Bedeutungen. Ich war ein Leben lang in dieser Welt tätig.«
    Der Ausdruck des Kommissars sagte ihm, dass er an dieser Stelle nicht zu ausführlich werden musste. Es war offensichtlich nicht das erste Mal, dass Maler bei seiner Arbeit mit staatlichen Aktivitäten aus der Schattenwelt konfrontiert wurde. »Es ist eine kalte, irgendwie technokratische Welt«, fügte Dimitri noch an. »Bei den Geheimdiensten sind Sie eine Akte, manchmal nur eine Nummer. Im organisierten Verbrechen sind Sie ein Name, oft nur ein Vorname. Loyalitäten ändern sich ständig, Bezugspersonen verschwinden, Machtlinien verschieben sich. Man hat kein schlechtes Gewissen, wenn man mal die Seite wechselt – wie ich.«
    Weiter hinten im Speisewagen

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