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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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erklärt.«
    Lichtinger nickte. Ja, er erinnerte sich. So hatte er das damals gesehen. Heute hätte er nicht mehr sagen können, wo genau sie steckten, die theoretischen Physiker auf ihrer Suche. Er sah Tretjak aufstehen, die Hände in die Hüften stemmen und auf den schmalen Laptop herabblicken, der vor ihm auf der Steinstufe stand. »Ich weiß nicht, was hier passiert, Joseph. Ich steh davor wie deine Außerirdischen vor dem Esstisch.«
    Lichtinger dachte daran, dass Tretjak ihm einmal von dem Namen erzählt hatte, den ihm jemand verpasst hatte. »Der Regler ist ratlos?«
    Tretjak blickte auf. »Und der Mann Gottes? Weiß der weiter?«
    Lichtinger war jetzt auch aufgestanden. »Du bist doch gar nicht ratlos, Gabriel. Du weißt doch ganz genau, was hier geschieht. Nu Pagadi. Hier wird eine Rechnung präsentiert, und zwar auf Russisch. Warum bist du gekommen? Willst du mir endlich erzählen, was genau damals passiert ist? Was genau du …«, er betonte dieses Wort, und er wiederholte es, »du selbst damals getan hast?«
    »Möchten Sie mir die Beichte abnehmen, Herr Pfarrer? Was soll das?« Tretjaks Stimme bekam einen metallischen Klang. »Du weißt doch, was geschehen ist. Du warst dabei, du weißt, was wir getan haben und was wir tun wollten.« Er blickte zur Decke. »Und dein Herrgott weiß es auch.«
    »Ich kenne immer nur deine Version der Geschichte, vergiss das nicht«, sagte Lichtinger. »Deine Version der Geschichte und das Geld, das war alles, was du mir serviert hast. Und wenn deine Version die Wahrheit ist, dann ist es doch kein Rätsel, was hier im Gange ist. Jemand will sein Geld zurück. Und jemand ist ziemlich sauer, dass du es damals kassiert hast.«
    »Jemand …« Tretjak schüttelte den Kopf. »Den Jemand gibt es doch gar nicht mehr.« Er kramte etwas aus seiner Hosentasche hervor. »Hat’s hier eine Toilette?«, fragte er.
    Lichtinger fiel die Südtiroler Formulierung sofort auf, und beinahe hätte er gelächelt. »Nein«, sagte er, »tut mir leid.«
    »Und Wasser?«
    »Wasser gibt’s. Gleich hinter dem Paravent dort ist ein Hahn.«
    Tretjak machte die paar Schritte, schob den Paravent zur Seite, drehte den Wasserhahn über dem kleinen Becken auf und versuchte gar nicht zu verbergen, dass er irgendwelche Tabletten einnahm.
    »Hast du keine Angst?«, fragte er, als er sich wieder umwandte.
    »Angst … Nein, jetzt nicht mehr. Von all den Gefühlen, die ich schon wegen dem Scheißkoffer hatte, ist zuletzt nur eins übrig geblieben: Ich schäme mich für diese Geschichte.«
    »Ach ja«, sagte Tretjak, »der heilige Joseph.«
    »Wahrscheinlich weiß auch niemand etwas von mir …«
    »Ich will dir mal was sagen«, unterbrach ihn Tretjak, »wer immer da dahintersteckt, weiß verdammt viel, er kennt sich in meinem Leben viel zu gut aus, viel zu genau. Da ist schon anzunehmen, dass er auch weiß, wer du bist.«
    »Das ist doch deine Lehre«, sagte Lichtinger. »Alles wissen über die Schlüsselfigur. Wahrscheinlich hast du es denen damals sogar selbst so gesagt.« Lichtinger erinnerte sich, wie Tretjak immer auf einem Stück Papier seine Diagramme aufgemalt hatte, spinnennetzartige Zeichnungen. In der Mitte war immer die wichtigste Person angeordnet. Jetzt fragte er sich, ob Tretjak inzwischen ein solches Diagramm über ihn, seinen früheren Freund, angefertigt hatte. Wie viel wusste Tretjak über ihn? Alles? Der Gedanke beunruhigte ihn.
    Lichtinger trat an den Altar, verstaute die beiden Kerzen in dem Holzkasten, dann rückte er den Paravent zurück vor das Waschbecken. Er sah, dass Tretjak seinen Laptop zuklappte. Sie gingen den Gang entlang Richtung Ausgang, blieben dann aber auf halber Strecke stehen und setzten sich noch einmal nebeneinander in eine der Kirchenbänke.
    »Ich höre, du hast so großen Erfolg mit diesen Science-Slams, die du veranstaltest«, sagte Tretjak. »Wie muss ich mir das vorstellen?«
    »Wir machen das immer in großen Scheunen oder Geräteschuppen«, sagte Lichtinger. »Als Bühne dient meistens ein Traktor-Hänger. Und dann treten Leute auf, die ein wissenschaftliches Thema erklären. Jeder hat fünf Minuten Zeit, wenn die um sind, schreit das Publikum ›Aufhören!‹ oder ›Weitermachen!‹ je nachdem, wie gut derjenige ist. Und am Ende des Abends wird über den Sieger abgestimmt.«
    »Was für Themen?«, fragte Tretjak.
    »Völlig offen, Meeresbiologie, Kieferchirurgie, Aggressionsforschung, alles ist möglich. Schüler tragen vor, auch Studenten, wir hatten auch

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