Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
Vom Netzwerk:
hatte inzwischen eine fünfköpfige dänische Familie Platz genommen, alle blond, alle braungebrannt, alle gut gelaunt.
    »Als der Eiserne Vorhang fiel, bot sich mir eine Chance, und ich habe sie ergriffen«, sagte Dimitri.
    Für einen Moment dachte er daran zurück, wie überheblich ihm die deutschen Beamten begegnet waren. Jetzt, wo euer Imperium ohnehin zusammenbricht, sind Überläufer nichts mehr wert … Niemand interessierte sich so recht für seine Fähigkeiten, für seine weltweiten Netzwerke, sein Know-how. Er bekam eine bescheidene Starthilfe und wurde als schäbiger kleiner Agent eingesetzt, Kurierdienste, Geldbote, solche Sachen. Hätten seine Kontakte nicht ab und zu andere Aufträge ergeben, er hätte von dem kümmerlichen Honorar des BND nicht existieren können.
    Erst nach den Attentaten des 11. September in New York änderte sich die Lage. Plötzlich stieg man vom hohen Ross herab, plötzlich wurde er von Limousinen abgeholt – und zu Treffen gebracht, bei denen nicht einfältige Bürokraten herumkommandierten, sondern freundliche Herren in guten Anzügen ihm einen Espresso anboten und Lachsbrötchen. Plötzlich kam man ihm nicht mehr mit Moral, mit Menschenrechten, mit Rechtsstaatlichkeit, die er erst noch begreifen müsse. Stattdessen reduzierte sich alles auf die eine entscheidende Frage: Mit welchen Methoden hatte es die Sowjetunion immer geschafft – und schaffte es jetzt auch Russland –, dass ihre Bürger niemals Opfer von Entführungen im Ausland wurden? Amerikaner, Deutsche, Italiener, Japaner – aus allen Ländern gerieten Bürger in die Hände von Terroristen, Firmen wurden erpresst, Regierungen, Privatpersonen. Nur bei Russen hörte man nie davon. Warum nicht? Sie wussten, dass genau das sein Fachgebiet gewesen war. In diesen Wochen nach dem 11. September 2001 begriff Dimitri Tschernokov, der schon Dieter Steiner genannt wurde, aber nur als Deckname, noch ohne deutsche Staatsbürgerschaft, dass sein Wissen plötzlich sehr viel Geld wert war. Und die deutschen Behörden begriffen auch ein paar Dinge: Der Mann war kein Schaumschläger, seine Informationen stimmten, das meiste ließ sich überprüfen. Und der Mann war gefährlich. Er hatte jahrelang gezielte Tötungen organisiert, wahrscheinlich oft genug selbst ausgeführt. Nicht dass die Beamten Angst um ihr eigenes Leben gehabt hätten, das nicht. Die Gefahr bestand darin, sich mit ihm einzulassen. Dimitri Tschernokov war für den arabischen Raum zuständig gewesen, ein BND -Mann nannte ihn einmal einen »Blitzkrieger gegen Terroristen«, und er war bekannt gewesen in Terroristenkreisen, war es sicher immer noch, das war ja Teil der Strategie: Wer einen Russen entführte, sah niemals Geld, sondern lernte Tschernokovs Truppe kennen. Aber wer sagte, dass die Terroristen von damals die Terroristen von heute waren? Diese Sorge hatten sie ihm gegenüber immer wieder formuliert: dass sie überhaupt erst durch die Zusammenarbeit mit Tschernokov die Aufmerksamkeit der Terroristen auf sich zogen und so Deutschland und deutsche Staatsbürger zur Zielscheibe machten.
    Schließlich kam es zu einem abschließenden Gespräch. Es fand in einem kleinen Konferenzraum eines Businesshotels in Münster statt. Dimitri, damals noch ein Meister der äußerlichen Unauffälligkeit, traf dort auf einen ebenso unauffälligen Mann, der aber nichts zu sagen hatte, sondern nur eine Telefonverbindung herstellte. Entscheidend war die Stimme am Telefon. Dimitri wusste, dass sie dem BND -Chef gehörte, obwohl kein Name genannt worden war. Die Stimme war leise und sachlich. »Wir lehnen die Methoden ab, mit denen Sie gearbeitet haben«, sagte diese Stimme. »Wir wollen nicht, dass Sie für den deutschen Staat oder irgendwelche anderen deutschen Organisationen oder Firmen tätig werden. Wir wollen nur Ihr Wissen, Ihre Informationen.«
    Im Speisewagen des stehenden Autozuges in München brauchten Dimitris Erinnerungen an diese entscheidende Lebensphase nur ein paar Sekunden, ein nachdenklicher Blick auf die Tischplatte, länger nicht.
    Kommissar Maler bestellte noch einen Kaffee – »wieder koffeinfrei, bitte« – und sagte: »Herr Steiner, vermutlich werden wir uns nie wieder begegnen, es spielt für uns beide keine Rolle, was ich von Ihnen, Ihrer Tätigkeit und Ihrer Biographie halte. Mir wurde mitgeteilt, Sie könnten mir etwas über Tretjak erzählen, das mir vielleicht weiterhilft.«
    Dimitri machte eine Kopfbewegung in Richtung der Getränke, die auf

Weitere Kostenlose Bücher