Der Regler
Nachmittag nicht gepasst. Aber jetzt passte es. Ficken. Das war das, was der Kerl hier tat. Auf und ab, rein und raus. Auf seiner Haut bildete sich ein Schweißfilm und auf ihrer auch. Sie spürte, wie sich ihr Orgasmus aufbaute, wie ein Gewitter in den Bergen, schnell und entschlossen.
Das Hotel, in das er sie bestellt hatte, hieß
Splendid
, eine kleine billige Pension in der Müllerstraße. Arme Künstler, mittellose Schwule stiegen hier ab. Eine Flasche Rotwein hatte er mitgebracht,
Primitivo
, der Name passte zu der Art Sex, wie sie ihn hatten. Sie verstand nichts von Rotwein, aber er schmeckte ihr. Bestimmt kostete er nur ein Zehntel von dem, was Gabriel Tretjak heute Abend in der
Osteria
für den Wein hinblätterte. Wie viele Seelen hatte sie?, fragte sich Fiona Neustadt später, als sie nebeneinander auf dem schmalen Bett lagen und den Rotwein tranken. Sie hörte seine Stimme, diese angenehme Stimme, aber sie hörte ihr nicht zu. Irgendetwas von einem Buch, das er gelesen hatte, erzählte die Stimme. Wie viele Seelen? Musste man sie alle pflegen? Oder sollte man einige verkümmern lassen, mit Absicht? Keine ihrer Freundinnen kam mit diesen Fragen klar. Die meisten von ihnen hatten mehrere Männergeschichten gleichzeitig am Start und die übrigen gar keine.
Alkohol ließ sie manchmal selbstmitleidig werden. Da musste sie aufpassen. Nicht dass sie anfing zu weinen. Von der Straße drang das Geräusch der Straßenbahn ins Zimmer. Als Kind war Fiona Neustadt pummelig gewesen. Das hatte daran gelegen, dass sie sofort etwas gegessen hatte, wenn sie Kummer hatte. Sie wurde sogar »Hamsterchen« genannt, weil sie gelegentlich etwas in ihren Backen aufbewahrte, bevor sie es runterschluckte. Jetzt setzte sie sich auf, beugte sich über den Schwanz des Mannes, der neben ihr lag und von einem Buch redete. Sie nahm ihn in den Mund und behielt ihn dort so lange, bis er sich entlud.
Achter Tag
18. Mai
Hamburg, Café Paris, 10 Uhr 45
Am letzten Tag seines alles in allem heftigen Lebens saß Dimitri Steiner im Café Paris und sah zunehmend ungeduldig auf die Uhr. Das Café bestand aus einem einzigen großen gekachelten Raum, über den sich eine aufwändig restaurierte Jugendstildecke spannte. Früher war hier eine Schlachterei gewesen. Die Speisekarte war bekannt für diverse Klassiker, das am Tisch zubereitete Tartar zum Beispiel, den lauwarmen Salat Niçoise, die pikanten Lammwürstchen, aber auch für die Tartes, heute Birne.
Dimitri Steiner trank schon den zweiten doppelten Espresso, er hatte ein Croissant gegessen, vor ihm lag unberührt die Tageszeitung auf dem Tisch. Gabriel Tretjak verspätete sich nie, aber jetzt war es gleich elf Uhr. Heute Morgen hatte Dimitri Steiner in seiner Wohnung Tretjaks Grüße vorgefunden, einen Kuchen, in den Nägel eingebacken waren. Er hatte seine alte Pistole eingesteckt, eine Tokarev TT -33, und sich sogar seinen Messergurt um die Wade gebunden. Nur vorsichtshalber. Er war in seinem Leben vielen gefährlichen Menschen begegnet, wildgewordenen, zugekoksten Terroristen mit Maschinengewehren, kalten, eher wie Buchhalter wirkenden Profikillern, gemütlichen weintrinkenden Lebemännern, die mit einer Handbewegung Schicksale besiegelten. Im Großen und Ganzen hatte Dimitri Steiner immer gewusst, wie sie zu nehmen waren. Bei diesem Gabriel Tretjak war es anders. Aus ihm war er nie richtig schlau geworden. Er lebte eine bürgerliche Existenz, hatte sich dieses blendend laufende Geschäft aufgebaut. Regelte das Leben von reichen Privatleuten, die zu dumm waren, zu feige oder zu bequem, das selbst zu tun. Und dieses eine Mal, als er sich mit anderen Mächten eingelassen hatte, zumindest dieses eine Mal, von dem Steiner wusste, und einen Auftrag ganz anderer Art angenommen hatte, dieses eine Mal war Tretjak nicht nur ungeschoren davongekommen, sondern er hatte dafür sogar 50 Millionen Dollar kassiert. Dimitri selbst hatte ihm den Koffer mit den Scheinen übergeben.
Er saß hinten im Lokal, mit dem Rücken zur Wand auf der Bank, sein Stammplatz, immer wenn er reservierte, gab man ihm diesen Tisch. Nur um irgendetwas zu bestellen, bestellte er eine Traubensaftschorle und dachte an den alkoholfreien Kommissar aus München. Wegen dem hatte er schlecht geschlafen. War es ein Fehler gewesen, dass er ihm den Tipp mit Krabbe gegeben hatte? War er auf seine alten Tage irgendwie geschwätzig geworden? Aber was konnte schon passieren? Krabbe lag im Sterben. Die Menschen, die er zu Killern
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