Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
Vom Netzwerk:
unterstrichen:
Putzfrauenmord: Münchner Geschäftsmann verhaftet!
Er verschloss den kleinen Peugeot mit der Zentralverriegelung und stapfte ins Dunkel, zuerst noch etwa hundert Meter an der Straße am Waldrand entlang, dann bog er auf einem kleinen Pfad nach links ins offene Feld ab, direkt über die Wiese auf den Hof zu. Seine Augen hatten sich jetzt an die Dunkelheit gewöhnt. Der Jedlitschka-Hof lag still und grau im fahlen Licht der Sterne da. Schritt für Schritt ging Joseph Lichtinger darauf zu, und für einen Moment spielte ihm sein Gehirn den Streich, den Kinder so gut kennen. Für einen Moment sah er in den Umrissen des Hofes nicht das gewohnte Bild einer menschlichen Behausung, vielmehr erkannte er in dem Gebirge aus Schatten, Linien und Flächen die Konturen eines großen Tieres. Lichtinger verließ den Weg und näherte sich in einem Bogen dem Hof von der Rückseite. Der Schlüssel zur Sternwarte befand sich unter einem Ziegelstein neben dem Eingang.
    Nur ein einziges Mal war Lichtinger hier gewesen, damals, als Tretjak ihm sein neues Teleskop vorgeführt hatte. Wie viele Nächte hatten sie früher, als sie jung waren, zusammen verbracht, irgendwo in den Bergen, mit immer besseren Fernrohren und immer kühneren Gesprächen und Plänen …
    Putzfrauenmord: Münchner Geschäftsmann verhaftet.
Der Anblick der Schlagzeile steckte Lichtinger schon den ganzen Tag in den Knochen, setzte sich in seinen Gedanken immer wieder neu zusammen, beschleunigte seine Herzfrequenz. Das Layout der Abendzeitung war im Laufe der Jahre immer wieder überarbeitet worden. Typografie, Spaltenbreite, Umgang mit Fotos, all das hatte sich immer wieder verändert. Ein modernes digitales Bilderkennungsverfahren, das Punkt für Punkt, Pixel für Pixel vergleicht, hätte zwischen dieser Aufmacherseite und einer ähnlichen von vor über zwanzig Jahren keine Übereinstimmung festgestellt. Aber Lichtingers Gehirn war kein Computer.
Bombenanschlag: Bankmanager stirbt in seinem Wagen!
In Lichtingers Gehirn schob sich die Schlagzeile von damals über die von heute, das Logo der Zeitung war immer noch rot, die Buchstaben immer noch schwarz. Und in Lichtingers Gehirn ergänzten sich die Schlagzeilen, sie tanzten miteinander.
    Im Schein einer Taschenlampe mit rotem Licht machte Lichtinger das Teleskop startklar, öffnete die Kuppel einen Spalt, nahm die Schutzkappe vom Fernrohr und schaltete die Steuerung ein. Dann schwenkte er das Gerät zu einer Region im Sternbild Schwan, das schon hoch am Himmel stand. Er wählte ein Weitwinkelokular und einen Nebelfilter und suchte die Region ab, bis sich ein zartes Objekt ins Bild schob. Lange, dünne, weiße Schlieren, die aussahen wie Nebelschwaden über einer feuchten Wiese. Sie breiteten sich über ein riesiges Gebiet aus. Der Cirrusnebel, auch Schleiernebel genannt, der Überrest einer Supernova, 1700 Lichtjahre von der Erde entfernt.
    Bombenanschlag: Bankmanager stirbt in seinem Wagen.
Es war die Zeit, als es noch keine Mobiltelefone gab, kein E-Mail. Der Physikstudent Joseph Lichtinger wohnte bei einem alten Münchner zur Untermiete in der Türkenstraße. Das Klopfen von Herrn Schmidt an seiner Tür hatte ihn aus dem Schlaf geweckt, und dann hatte Tretjak vor ihm im Zimmer gestanden, blass, diese Zeitung in der Hand. Noch heute sah Lichtinger seinen Blick vor sich, die flackernden Augen.
    »Du hast es gemacht? Du hast es wirklich gemacht?«, hatte er Tretjak gefragt. Sie hatten sich gegenübergesessen, er auf seinem Bett und Tretjak auf dem alten Kamelhocker.
    Immer wieder hatte er den Kopf geschüttelt. »Nein. Ich hab gar nichts gemacht. Aber die denken, dass ich’s war.« Und er hatte ihn angesehen. »Unser Plan war ja auch fast genauso.«
    »Unser Plan, unser Plan …« Lichtinger war wie gelähmt gewesen vor Angst. Ja, sie hatten den Mann beobachtet, ausspioniert, sein Leben, seine Gewohnheiten, Gabriel hatte wieder Diagramme gezeichnet. Ja, sie hatten von einer Bombe geredet, und ja, Gabriel hatte jemanden gefunden, der sie bauen konnte, aber das war doch nicht ernst, das war doch nur … »Unser Plan … War das wirklich ein Plan, das war doch nur … Oder?« Die Augen seines Freundes Gabriel waren schwarz gewesen in diesem Moment. Und, so war es ihm damals erschienen, sie wurden jede Sekunde noch schwärzer.
    Vom Fenster des Zimmers aus hatte man die Anzeigetafel eines Programmkinos im Blick. Daran erinnerte sich Lichtinger genau. In dieser Nacht war dort die Ankündigung eines uralten

Weitere Kostenlose Bücher