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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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Seine ganze Ausstrahlung sei gewesen: Du hast ein Problem. Du. Nicht ich. »Ein Abendessen lang habe ich in dieses Gesicht geschaut – und danach war mein Leben vollkommen umgekrempelt.« Rainer Gritz war den Eindruck nicht losgeworden, dass Peter Schwarz immer noch damit zu tun hatte, wirklich zu begreifen, was überhaupt geschehen war. Auch seine Frau Melanie hatte er besucht, die frühere Schlagersängerin, in einer kleinen Wohnung in Heidelberg. Was für ein Mann dieser Tretjak sei? »Vor allem ein Mann, der Verständnis hatte«, war ihre Antwort. »Ein attraktiver Mann, einer, der weiß, was zu tun ist und es auch tatsächlich tut. Er gibt einem das Gefühl, bei ihm gut aufgehoben zu sein.« Aber dann hatte sie erzählt, wie schnell er sich zurückgezogen hatte nach Erledigung des Auftrags. Das sei schon irgendwie hart gewesen. Zwei sehr persönliche Briefe habe sie ihm noch geschrieben, ausführliche, mit der Hand geschriebene Briefe. Aber darauf habe sie nur eine karge Antwort erhalten, drei Zeilen,
wünsche Ihnen alles Gute
 … »Nun ja … ich brauchte schon eine Weile, um zu begreifen, dass es eben sein Geschäft ist. Dass es kein Freund war, der das alles für mich getan hatte, sondern ein Profi.« Gritz erinnerte sich gut an diese Melanie Schwarz, wie sie in der Tür gestanden hatte, als er ging, ein bisschen unsicher noch in der neuen Stadt und dem neuen Leben.
    Auch die Frau, mit der Tretjak jetzt zusammen war, damals noch seine Steuerprüferin, hatte bei ihrem langen Gespräch im Präsidium davon gesprochen, dass das gewissermaßen seine Arbeitsgrundlage war: sich herauszuhalten – um einzugreifen. Sie sprach davon, dass ihm wohl nicht ganz klar sei, wie tief diese Eingriffe rührten, welche Gefühle sie erzeugten. Sie sei überzeugt, dass er kein Gespür dafür habe, was sich da zusammenbrauen konnte, auch gegen ihn.
    Dein Problem. Nicht meines. Das, so viel war klar, konnte hier auf dem steilen Weg hinauf zu Santo Stefano nicht gelten. Der Mann, der in dem Sarg lag, und der Mann, der diesen Sarg mit anschob, waren auf eine Weise verstrickt gewesen, die man nur als unheilvoll bezeichnen konnte.
    Tun, was getan werden musste: die Leiche des Vaters identifizieren in der Pathologie. Die Beweise für die Verbrechen zur Kenntnis nehmen. Die Genehmigung erwirken, dass er auf dem kleinen Friedhof am Berg beigesetzt werden konnte. Den Pfarrer organisieren, den Traktor. Den Sarg anschieben, wenn er hängen bleibt. Gabriel Tretjak, das wusste Rainer Gritz, beerdigte hier nicht nur seinen Vater. Er beerdigte einen Feind. Und er beerdigte – wahrscheinlich zum wiederholten Mal in seinem Leben – seine Kindheit. Er tat das alles sehr entschlossen, scheinbar ohne nach links oder rechts zu schauen. Nur eine Trauerrede, die hatte Gabriel Tretjak noch nicht gehalten. Und Rainer Gritz hatte auch nicht das Gefühl, dass er das noch tun würde.
     
    Der kleine Zug nahm eine Wegbiegung und kam aus dem Wald heraus. Es entfaltete sich eine beinahe unwirkliche Szenerie. Gritz blickte auf ein sanft abfallendes Stück Wiese, frisch gemäht, eingerahmt von Hortensienbüschen. Unten tiefblau der See mit der Ruine eines Wasserschlosses, am Horizont die Berge mit den weißen Schneekuppen. Links befand sich die Steinmauer der Kirche, die man zuerst für die Wand eines Bauernhauses hätte halten können, aber in diesem Moment begann über den Köpfen der Trauergemeinde die Glocke zu läuten. Sie hing offen in einem kleinen Turm, der nur aus vier Steinsäulen und einem flachen quadratischen Dach bestand. Das Ganze nicht höher als zwei Meter, direkt über dem Eingang der Kirche, den der Zug jetzt erreichte. Ein halbrunder, mit Granitplatten ausgelegter Platz umgab den Eingang. Der junge Mann stellte den Traktor ab. Jemand räusperte sich in die entstandene Stille hinein. Gritz wunderte sich, dass der Friedhof nicht zu sehen war. Vier Männer traten vor, lösten die Befestigungsgurte des Sarges und hoben ihn auf ein leises Kommando hin gleichzeitig von der Ladefläche auf ein Holzgestell, das vor dem Kircheneingang aufgebaut war. Links und rechts des Gestells standen zwei Steinvasen mit dunkellila Eisenhutsträußen. Gritz sah eine große Eidechse von einem der Gestecke zur Kirchenmauer laufen und daran hochklettern. Knapp unter einem Fenstersims hielt sie inne, um den weiteren Verlauf des Geschehens zu beobachten. Und Gritz sah, dass am Rand des Platzes Frau Poland stand, neben einem Steinkübel mit einem Rosenbusch.

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