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Der reiche Mann

Der reiche Mann

Titel: Der reiche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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nicht, ihr entgegenzugehen. Er wagte aber auch nicht, auf sie zu warten.
    Er machte sich auf den Rückweg, und diesmal kehrte er in das Bistro ein. Heute waren dort viel mehr Leute als an Wochentagen, und man hätte glauben können, alle sprächen auf einmal, so laut war das Stimmengewirr.
    Die Belote-Spieler waren da, und ihnen gegenüber saßen die Manille-Spieler, die alte Garde. Lecoin sah noch viele andere, die nur sonntags herkamen.
    Er stellte sich an die Theke. Die Luft war blau von Rauch, und Mimile ging immer wieder durch die Falltür hinunter, um am Faß Krüge mit Wein zu füllen.
    Man winkte Victor oder rief ihm ein paar Worte zu. Alle hatten einen gewissen Respekt vor ihm, vielleicht weil er stark, vielleicht weil er reich war.
    Das hieß aber nicht, daß man ihn liebte. Würden sich die meisten nicht freuen, wenn er morgen arm und krank wäre?
    Er trank sein Glas aus und füllte es wieder, ließ seine Blicke über einen Tisch nach dem anderen schweifen und spähte immer wieder durch die Gardine auf die Straße hinaus.
    In wenigen Minuten würde sie auf dem Heimweg hier vorbeikommen. Sie war ganz allein am Meer spazierengegangen. Woran mochte sie denken? Und was erwartete sie sich von der Zukunft? Sie war in ein sauberes und stilles Haus geraten, in dem man sie nicht schlecht behandelte und auch nicht mit Arbeit überhäufte. War sie glücklich? Hatte sie noch ein wenig Angst vor ihm, weil sie sich an das erinnerte, was ihr in Surgères passiert war?
    Er hätte gern an etwas anderes gedacht. Er bemühte sich, einer Partie zuzusehen, aber es gelang ihm nicht, sich dafür zu interessieren.
    Sie brauchte lange, bis sie endlich an dem Café vorüberkam, und nicht nur er allein sah sie. Er beobachtete unwillkürlich Theo, der ihm zynisch mit den Augen zuzwinkerte.
    Es war, als ob er sagen wollte: ›Ha, man hat das Mädchen schön herausgeputzt.‹
    Theo war genauso alt wie er. Sie waren zusammen zur Schule gegangen und hatten sich immer gehaßt. Aber weder der eine noch der andere hätte wohl sagen können, warum.
    Bei Theo war es bestimmt Neid, denn schon als Junge war er schwächlich und einer der Letzten in der Klasse gewesen. Seinem Vater gehörte das Eisenwarengeschäft, und seine Mutter war eine dicke Frau, die ihr Leben gelähmt in einem Sessel hinten im Laden beschlossen hatte.
    »Noch einmal das gleiche, Mimile.«
    Er wollte sich nicht betrinken, aber ein paar Schoppen im Laufe des Tages konnten ihm nichts anhaben.
    Nur seine Gedanken wurden davon beeinflußt. Die Welt wurde lieblicher, und er dachte an Alice nicht mit Begierde, sondern fast voller Zärtlichkeit.
    Er hätte eine Tochter ihres Alters haben können, die jetzt wahrscheinlich schon verheiratet wäre und Kinder hätte. Fehlte ihm das?
    Solche und ähnliche Bilder, die nichts miteinander zu tun hatten, gingen ihm durch den Kopf.
    Er betrachtete die Gäste, jene, die aßen, und jene, die an der Theke standen, und fragte sich, ob unter ihnen wahre Freunde waren. Man schlug sich auf die Schulter, wenn man sich traf, nannte sich beim Vornamen, duzte sich, beschwor Erinnerungen an die Kindheit oder die Jünglingszeit.
    »Erinnerst du dich noch an Lavaud und seinen tödlichen Unfall?« Er war betrunken und war von einem Lastwagen überfahren worden. Noch auf dem Transport nach La Rochelle war er im Krankenwagen gestorben.
    Lecoin trank seinen Schoppen aus und zog seine alte Brieftasche heraus. Er sah, wie einer der Männer einen anderen mit dem Ellbogen anstieß.
    Er war der reiche Mann, wie eine alte Frau gesagt hatte. Na und? Hatte er jemandem etwas genommen? Er war vielleicht bei den Muscheln, die er kaufte, besonders auf Qualität aus, aber er bezahlte auch mehr als die anderen dafür, und er mußte sich um das Waschen und den Versand kümmern.
    Der Hof ›Quatre Vents‹ brächte ihm mehr ein, wenn er ihn selbst bewirtschaftete. Er hätte sich gern einen anderen Pächter gesucht. Aber was würde dann aus seinem Bruder werden? Daniels, dessen Frau und seines Vaters wegen verzichtete er auf einen größeren Profit.
    Ach, er hatte ja noch gar nicht den neuen Traktor gesehen. Er ging nach Hause und fuhr dann zu seinem Hof. Véronique war allein.
    »Ist Daniel ausgegangen?«
    »Wie jeden Sonntag«, seufzte sie mit ergebenem Lächeln.
    »Ist der Traktor geliefert worden?«
    »Gestern abend. Möchtest du ihn sehen?«
    »Ist mein Vater auch aus?«
    »Er wird bald zurückkommen, um die Kühe zu versorgen. Er ist gewiß in dem Bistro in

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