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Der reiche Mann

Der reiche Mann

Titel: Der reiche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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gegangen.«
    »Ich habe ihr keine ganze Aussteuer gekauft, sondern nur das Notwendige, aber das war nicht leicht. Sie ist so mager, daß man mich in die Teenagerabteilung geschickt hat.«
    »Hat sie mit dir gesprochen?«
    »Nur das Allernotwendigste. Vielleicht wird das anders, wenn sie sich eingewöhnt hat, sofern sie sich überhaupt eingewöhnt.«
    Als er Alice ein wenig später sah, trug sie einen kleinkarierten Kittel wie seine Schwägerin Véronique, der ihre Beine halb verdeckte, und schon das allein genügte, um sie völlig zu verändern. Plötzlich war sie kein Kind mehr, sondern ein junges Mädchen.
    »Was gibt’s zum Abendbrot?«
    »Erbsensuppe und ein Käseomelett.«
    »Können Sie das beides zubereiten?«
    »Madame wird es mir zeigen.«
    Sie lächelte nicht. Sie war auch nicht verstimmt. Man konnte ihr nichts vorwerfen.

 
    3
     
     
     
    Es war Sonntag, aber Lecoin stand trotzdem zur gleichen Zeit auf wie immer, obwohl er nichts zu tun hatte. Jeanne war schon unten, und ein köstlicher Kaffeeduft drang herauf.
    Er hätte schwören mögen, daß am Sonntag die Luft anders und der Himmel leerer war. Man hörte von draußen kaum ein Geräusch, außer dem Krähen eines Hahns in der Nähe.
    An diesem Tag bummelte er. Statt schnell zu duschen, verbrachte er eine ganze Weile im heißen Wasser der Badewanne. Statt seiner alltäglichen Kleidung zog er ein weißes Hemd und einen schwarzen Anzug an, der ihm schon etwas eng zu werden begann.
    Als er hinunterkam, war seine Frau noch nicht angezogen, und auch das war ein Ritus. Aber es war schon für ihn gedeckt. Er trank zuerst seine Tasse Kaffee, wobei er nach Alice ausspähte und auf die Geräusche, die aus der Küche kamen, horchte.
    Sie brachte ihm seine Suppe und dann seine Eier mit Speck. Sie hatte einen der kleinkarierten Kittel an, die seine Frau am Tag zuvor für sie gekauft hatte.
    War das nur Einbildung? Es schien ihm, daß sie nicht wagte, ihm ins Gesicht zu blicken. Tat sie alle Männer in den gleichen Topf wie Paquôt? Oder aber brauchte es seine Zeit, ihr die Scheu abzugewöhnen?
    Jeanne, die ihm gegenübersaß und schon gefrühstückt hatte, sagte: »Sie hat mich gefragt, ob sie in die Messe gehen dürfe. Ich habe ihr geantwortet: Ja, natürlich.«
    »In welche Messe?«
    »In die Neun-Uhr-Messe.«
    Das war die zweite. Es gab noch eine weitere, eine stille Messe, um sieben Uhr morgens. Die Lecoins gingen nicht in die Kirche. Jeanne hatte es am Anfang ihrer Ehe ein paar Monate lang getan, aber dann hatte sie’s eingestellt. Sie standen jedoch trotzdem in guter Beziehung zum Pfarrer.
    Lecoin fütterte die Hühner und sammelte die Eier ein. Wie an anderen Sonntagen fühlte er sich unbehaglich. Seine gewohnte Tätigkeit fehlte ihm, und er wußte nicht, was er mit sich anfangen sollte.
    Als er wieder ins Haus kam, war Jeanne hinaufgegangen, um sich anzuziehen. Auch Alice zog sich sicher um, denn er sah sie nirgends. Als sie herunterkam, hatte sie ein marineblaues Kleid an, das durch einen kleinen runden Kragen aus weißem Rips weniger streng wirkte. Sie hatte sich dadurch völlig verändert. Sie war nicht mehr das schmutzige Puttelchen vom ersten Tag, und er bedauerte das, wenn er auch schwer hätte sagen können, warum. Sie war gut frisiert, und ihre Haut war heller.
    Kurz darauf bemerkte er Doudou auf dem Hof. Auch er trug einen dunklen Anzug und Hemd und Schlips; es war der einzige Tag in der Woche, an dem er nicht barfuß ging, und es war schwer gewesen, für ihn passende Schuhe zu finden, denn er hatte Größe 48.
    Was er an seinen Sonntagen machte, wußte man nicht recht. Manchmal sah man ihn auf den Autobus nach La Rochelle warten. Was wollte er dort, da die Straßen zur Kirchzeit fast menschenleer und alle Geschäfte geschlossen waren? Manchmal blieb er aber auch im Dorf und landete schließlich wie Lecoins Vater auf einem Stuhl bei Mimile, wo er die Spieler beobachtete.
    Wo aß er? Wen traf er? Das war ein kleines Geheimnis, hinter das Victor noch nicht gekommen war.
    An den Wochentagen folgte ihm Doudou wie ein treuer Hund, aber den Sonntag verbrachte er allein. Man sah ihn erst am Abend wieder.
    Lecoin war nicht traurig. Er liebte das Leben, das er mit allen Poren atmete. Aber die Leere an den Sonntagen bedrückte ihn immer ein wenig, und jetzt war da obendrein noch diese Alice-Geschichte.
    Er mußte sich einen Ruck geben, um nicht unaufhörlich in die Küche zu gehen. Es verlangte ihn, ihre Gegenwart zu spüren, sie zu sehen, sie in Reichweite

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