Der reiche Mann
denn ihr entging nichts, und auch das demütigte ihn. Vielleicht wäre es ihm lieber gewesen, wenn sie ihm Vorwürfe gemacht hätte.
Er ging weiter um elf Uhr zu Mimile, und der Taubstumme begleitete ihn automatisch, immer auf bloßen Füßen, obwohl zwei Tage lang ein ziemlich kalter Regen fiel.
Lecoin täuschte sich wahrscheinlich, aber er hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß Theo ihn immer sarkastischer musterte, daß er den Fortschritt seiner Krankheit verfolgte, denn es war eine Krankheit. Er ärgerte sich über sich selbst, er schämte sich, daß er schwindelte, sich sozusagen versteckte.
Während dieser Zeit hatte Jeanne auch weniger Arbeit im Büro, und sie nutzte sie, indem sie im Hause Dinge tat, zu denen sie sonst nicht kam.
Unter anderem wusch sie alle Scheibengardinen, die sie dann bügeln mußte, ehe sie sie wieder aufhängte.
Das alles war nichts Neues, gehörte zu den kleinen Pflichten des Frühlings. Am Mittwoch war er aus Wut über sich gegen Abend nach La Rochelle gefahren und hatte vorher gesagt: »Du brauchst mit dem Abendessen nicht auf mich zu warten.«
Sie wußte, was das bedeutete, und sie hätte überrascht sein müssen, denn das kam bei ihm sonst nur am Wochenende vor.
Er fuhr zu Nenette.
»Ach, du kommst schon heute«, sagte sie erstaunt. »Weißt du, mein Lieber, ich habe dir nicht viel zu bieten. Wie wär’s erst mal mit einem Cognac?«
An der Bar saß ein Mädchen, das er nicht kannte, eine kleine Brünette, die auf jemanden zu warten schien.
»Laß mich mal eben telefonieren.«
Sie ging in das zweite Zimmer, und er hörte nur Bruchstücke von dem, was sie sagte.
»Aber ich sage dir doch, es lohnt sich… Nein!… Du wirst es sehen… Nein, du kennst ihn nicht… Nun? Kommst du gleich?« Sie goß ihm einen zweiten Cognac ein und deutete mit den Augen auf das Mädchen an der Bar.
»Sie ist in Ordnung. Sie treibt sich nicht herum, und die, die kommt, ist prima, wie du mir später bestätigen wirst.«
Er hätte am liebsten die Schultern gezuckt. Die eine oder die andere, was spielte das schon für eine Rolle!
Es ging darum, nicht an Alice zu denken und, wie er zu sich sagte, sich zu besaufen.
»Hast du kalten Champagner?«
»Immer, mein Schatz. Wenn noch eine andere kommt, die was taugt, schicke ich sie zu dir hinauf.«
»Das ist nicht nötig.«
Auch das brachte ihn gegen sich auf. Was dachte Jeanne? Verstand sie, warum er das brauchte? Und wenn ja, hatte sie dann nicht ein wenig Angst?
Wenn sie nur nicht auf den Gedanken kam, es sei das Beste, sie trenne sich in seiner Abwesenheit von Alice. Das war die erste und einzige Lösung, die ihm einfiel, und das alles nur wegen diesen Schweins Paquôt.
Er mußte fast eine halbe Stunde auf das Mädchen warten und betrachtete gelangweilt die Prozession der Schirme auf dem Kai.
Sie hatte tatsächlich nichts von einer Professionellen. Sie war wohl zwanzig bis zweiundzwanzig Jahre alt, war sehr frisch und hatte ein schüchternes Lächeln.
»Mademoiselle Fernande… Monsieur Victor.«
Sie reichte ihm ihre behandschuhte Hand und schien dann zu warten, wie’s weitergehen würde.
»Wie wäre es, wenn ihr in das Hinterzimmer gingt, Kinder? Dort ist es gemütlicher, und ich bringe euch den Champagner dorthin.«
Als sie in den kleinen Salon gingen, schien das Mädchen, das an der Bar saß, überrascht zu sein, daß man sie aufforderte, mitzukommen. Als Fernande das sah, runzelte sie die Brauen und war nahe daran, wieder zu gehen.
»Aber nein, mein Kind. Du wirst sehen, ihr werdet euch alle drei prächtig amüsieren.«
Sie war rot geworden. Es bedurfte mehrerer Glas Champagner, um ihr die Zunge zu lösen.
Schließlich gingen sie hinauf. Fernande zog sich im Badezimmer aus, während die andere ohne jede Scham ihre Kleider ablegte.
Sie waren beide gut gebaut. Nenette brachte zwei Flaschen Champagner herauf, denen Lecoin am stärksten zusprach.
Als erste nahm er Fernande und stürzte sich fast wild auf sie. Sie blickte ihn leicht beunruhigt an. Auch die andere war überrascht. Er wollte sich rächen. Wofür rächen? Für die Lage, in die er sich gebracht hatte, weil er einem dummen Jungen glich, der schwindelt, um verbotene Dinge zu tun?
Er blieb länger als in der Woche zuvor und trank eine Flasche ganz allein aus.
»Warum bist du so nervös?«
»Wieso bin ich nervös?«
»Man sieht es dir an. Hast du dich mit deiner Frau gezankt?«
»Meine Frau und ich zanken uns nie.«
»Weiß sie, daß du hier bist?«
»Ja.«
»Und
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