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Der Reisende

Der Reisende

Titel: Der Reisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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sie haßten, waren zumeist furchtsam und nicht organisiert. Noch nicht.
    »Ist das eine Wahlkampfrede?« fragte sie.
    »Schätze, vom alten Tippy-Canoe«, sagte der Kellner.
    Sie wußte sofort, wen der Mann meinte, und erbleichte. »Harrison?«
    »Schätze, er wird Wheelwright gewinnen. Aber weiter im Süden wird er nichts bewirken, da ist der Cherriky-Stamm ziemlich stark vertreten, und die halten ihn für den Mann, der versucht, ihnen ihre Rechte zu nehmen. In Irrakwa wird er auch nicht viel holen, das ist auch ein Land der Roten. Aber Ihr müßt wissen, die Weißen sind nicht allzu glücklich darüber, daß die Irrakwa die Eisenbahnen kontrollieren und die Cherriky von allen, die die Straßen durch die Berge benutzen, Maut fordern.«
    »Ihr stimmt einzig und allein aus Neid für einen Mörder?«
    Der Kellner lächelte verkniffen. »Weil einige behaupten, daß ein roter Hexer Tippy-Canoe mit einem Fluch belegt hat, besagt das noch lange nicht, daß er was Böses getan hat. Die Roten werden wegen aller möglichen Kleinigkeiten wütend.«
    »Tausende unschuldiger Frauen und Kinder abzuschlachten – ist doch albern, ihnen so was übelzunehmen.«
    Der Kellner zuckte mit den Achseln. »Ich kann es mir nicht leisten, meine politische Meinung deutlich zu vertreten, Ma’am.«
    Aber ihr war klar, daß er eine feste Meinung hatte – und zwar nicht dieselbe wie sie.
    Sie bezahlte ihre Mahlzeit – und ließ auf dem Tisch 25 Cents für den Kellner liegen, denn sie sah keinen Grund, jemandem nur wegen seiner politischen Ansichten den Lebensunterhalt zu nehmen – und eilte auf die Straße hinaus, um sich den Aufruhr anzusehen. Ein Stück die Straße hinauf war ein Pferdewagen zu einer Art behelfsmäßigem Rednerpult umgestaltet und mit einem rot-weiß-blauen Fahnentuch bedeckt worden, der Flagge der Vereinigten Staaten. Keine Spur mehr von den roten und grünen Farben der alten Flagge des unabhängigen Appalachee, bevor der Staat der Union beigetreten war. Natürlich nicht. Das waren die Farben der Cherriky gewesen – rot für die roten Menschen, grün für den Wald. Patrick Henry und Thomas Jefferson hatten sie als die Farben eines freien Appalachee übernommen; George Washington war für diese Flagge gestorben. Doch obwohl andere Politiker sich noch immer auf die alte Treue beriefen, konnte Harrison kaum daran gelegen sein, an die Allianz zwischen Rot und Weiß zu erinnern, die Appalachee die Freiheit vom König in Camelot eingebracht hatte. Nicht mit diesen blutigen Händen.
    Hände, von denen sogar in diesem Augenblick das Blut tropfte, als sie das Podium umfaßten. Peggy, die auf dem hölzernen Gehsteg auf der anderen Straßenseite stand, schaute über die Köpfe der jubelnden Menge hinweg, um William Henry Harrisons Gesicht zu beobachten. Sie sah zuerst in seine Augen, wie jede Frau einen Mann betrachten mochte, um seinen Charakter zu erkennen. Doch dann schaute sie schnell tiefer, in das Herzfeuer, sah die Zukünfte, die sich vor ihm erstreckten. Er hatte keine Geheimnisse vor ihr.
    Sie sah, daß jeder Weg zum Sieg bei der Wahl führte. Und nicht nur zu einem knappen Sieg. Sein führender Gegner, ein unglückseliger Anwalt namens Andrew Jackson aus Tennizy, würde vernichtet und erniedrigt werden – und dann in der schmachvollen Position des Vizepräsidenten leiden, in die der führende Verlierer einer jeweiligen Wahl gezwungen wurde. Ein grausames System, hatte Peggy immer gedacht, das politische Äquivalent dazu, jemanden vier Jahre lang an den Pranger zu stellen. Es war bezeichnend, daß beide Kandidaten aus den neuen Staaten im Westen kamen; noch bezeichnender war, daß beide aus Territorien stammten, die Sklaverei erlaubten. Die Dinge nahmen in der Tat eine dunkle Wendung. Und noch dunkler waren die, die sie in Harrisons Verstand sah, die Pläne, die er und seine politischen Kumpane ausführen wollten.
    Ihre extravagantesten Ideen hatten nur wenig Aussicht auf Erfolg – nur ein paar Wege in Harrisons Herzfeuer führten zu der Union mit den Kronkolonien, die er schmieden wollte; er würde niemals Herzog sein; was für ein pathetischer Traum, dachte sie. Aber er würde auf jeden Fall Erfolg mit der politischen Vernichtung der Roten in Irrakwa und Cherriky haben, weil die Weißen, besonders im Westen, dafür bereit waren, bereit, die Macht eines Volkes zu brechen, das Harrison als Barbaren zu bezeichnen wagte. »Gott hat die christliche Rasse nicht in dieses Land gebracht, damit sie es mit Heiden und Barbaren

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