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Der Reisende

Der Reisende

Titel: Der Reisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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für ein Mensch macht das mit einem Mann, der noch vor einer Minute versucht hat, ihn umzubringen?«
    »Ein guter Mensch.«
    »Nun ja, viele gute Menschen wollen so etwas vielleicht tun, aber nur einer hatte die Macht dazu«, sagte Mike. »Und wenn er die Macht hatte, das zu tun, dann hatte er auch die, mich zu töten, ohne mich zu berühren. Er hatte die Macht, alles zu tun, was ihm in den Sinn kam, verdammt noch mal, verzeiht mir bitte. Aber er hat mir Gnade erwiesen, Ma’am.«
    Das war richtig – und es überraschte Peggy lediglich, daß Mike Fink dies verstand.
    »Ich habe vor, die Schuld zurückzuzahlen. Solange ich lebe, Ma’am, wird Alvin Smith kein Leid zugefügt werden.«
    »Und deshalb seid Ihr hier«, sagte sie.
    »Kam mit Holly hierher, sobald ich herausfand, was für Ränke geschmiedet wurden.«
    »Aber warum hierher?«
    Mike Fink lachte. »Der Hafenmeister von Hatrack Mouth kennt mich wirklich gut, und er vertraut mir nicht, keine Ahnung, wieso nicht. Was schätzt Ihr, wie lange dauert es, bis der Sheriff von Hatrack County mir im Nacken sitzt wie ein verschwitztes Hemd?«
    »Ich nehme an, das erklärt auch, warum Ihr Euch nicht direkt bei Alvin gemeldet habt.«
    »Was soll er denn denken, wenn er mich sieht, wenn nicht, daß ich mit ihm abrechnen will? Nein, ich beobachte, ich warte meine Zeit ab, ich zeige mich weder dem Gesetz noch Alvin.«
    »Aber Ihr sagt es mir.«
    »Weil Ihr es früher oder später sowieso erfahren würdet.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß eins: Es gibt in Eurer Zukunft keinen Weg, auf dem Ihr Alvin vor Schlägern rettet.«
    Sein Gesicht wurde ernst. »Aber das muß ich, Ma’am.«
    »Warum?«
    »Weil ein guter Mensch seine Schuld bezahlt.«
    »Alvin wird nicht der Meinung sein, daß Ihr in seiner Schuld steht, Sir.«
    »Mir egal, was er darüber denkt. Ich bin der Ansicht, also werde ich die Schuld begleichen.«
    »Es ist nicht nur eine Schuld, nicht wahr?«
    Mike Fink lachte. »Es ist an der Zeit, das Floß abzustoßen und zum nördlichen Ufer zu bringen, meint Ihr nicht auch?« Er pfiff zweimal, hoch, als wäre er eine Dampfpfeife, und Holly tat es ihm gleich und lachte. Sie drückten ihre Stangen gegen das treibende Dock und stießen sich ab. Dann stakten er und Holly sie so geschmeidig, als wären sie Tänzer, über den Fluß, so glatt und geschickt, daß das Tau, das sie mit dem Kabel verband, sich niemals straff zog.
    Peggy sagte nichts zu ihm, während er arbeitete. Statt dessen beobachtete sie ihn, beobachtete, wie die Arm- und Rückenmuskeln sich unter der Haut kräuselten, beobachtete das langsame Auf und Ab seiner Beine, als er mit dem Fluß tanzte. Darin – in ihm – lag Schönheit. Es ließ sie auch an Alvin in der Schmiede denken, an Alvin am Amboß, die Arme im Licht des Feuers leuchtend vor Schweiß, die Funken sprühten vom Metall, während er hämmerte, die Muskeln seiner Unterarme kräuselten sich, als er sich bückte und das Eisen formte. Alvin hätte seine gesamte Arbeit tun können, ohne eine Hand zu heben, indem er auf sein Talent zurückgriff. Aber es lag Freude in der Arbeit, die Freude, mit eigenen Händen zu schaffen. Die hatte sie nie erfahren – ihr Leben, ihre Arbeit, das alles geschah mit ihrem Verstand und den Worten, die ihr gerade einfielen. Ihr Leben drehte sich nur um Wissen und Lehren. Alvins Leben bestand aus Fühlen und Schaffen. Er hatte mit dieser einohrigen, narbengesichtigen Flußratte mehr gemeinsam als mit ihr. Dieser Tanz des menschlichen Körpers im Wettstreit mit dem Fluß, es war eine Art von Ringen, und Alvin mochte das Ringen. So grob Fink auch war, er war bestimmt Alvins natürlicher Freund.
    Sie erreichten das andere Ufer, prallten heftig gegen das treibende Dock, und der Schauermann vertäute die obere Ecke des Floßes am Kai. Die Männer, die kein Gepäck hatten, sprangen sofort an Land. Mike Fink legte seine Stange nieder und schickte sich an, während der Schweiß noch von seinen Armen und der Nase und aus dem grauen Bart tropfte, ihre Taschen aufzuheben.
    Sie legte eine Hand auf seinen Arm, um ihn aufzuhalten. »Mr. Fink«, sagte sie. »Ihr wollt Alvins Freund sein.«
    »Ich hatte eigentlich eher im Sinn, mich für ihn einzusetzen, Ma’am«, sagte er leise.
    »Aber ich glaube, in Wirklichkeit wollt Ihr sein Freund sein.«
    Mike Fink sagte nichts.
    »Ihr habt Angst davor, daß er Euch wegschicken wird, wenn Ihr offen versucht, sein Freund zu sein. Ich sage Euch, Sir, er wird Euch nicht wegschicken. Er wird

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