Der Reisende
diese angeborene Macht, diese Geschenke von Gott oder der Natur oder was auch immer, und der Junge verschwendete das alles wegen seines Neids auf seinen älteren Bruder Alvin. Nun ja, er würde Calvin nicht sagen, er müsse aufhören, sich von diesen Gefühlen beherrschen zu lassen! Ganz im Gegenteil, Napoleon nährte sie subtil, mit gelegentlichen kleinen Fragen, wie Alvin dieses oder jenes getan hätte, oder Kommentaren darüber, wie schrecklich es doch sei, sich Unverschämtheiten von Brüdern bieten lassen zu müssen, die einfach nicht imstande waren, die Fähigkeiten ihrer Geschwister richtig einzuschätzen. Er wußte, dies würde Calvin wurmen, in seiner Seele schwären. Ein Wurm, der sich durch die Urteilsfähigkeit des Jungen wand und Löcher hineinfraß. Ich habe dich, ich habe dich. Schau über den Ozean, richte den Blick auf deinen Bruder; du hättest mich herausfordern und mit mir um mein Reich hier kämpfen können, um die halbe Welt, doch statt dessen kannst du nur an irgendeinen nutzlosen Burschen in einem Homespun oder Deerskin denken, oder wie immer ihr diese Kleidung dort drüben nennt, der Stein mit bloßen Händen polieren und Kranke heilen kann.
Kranke heilen. Daran arbeitete Napoleon jetzt. Er wußte genau, daß Calvin ihn absichtlich nicht heilte; er wußte auch, würde Calvin je auf die Idee kommen, daß in Wirklichkeit Napoleon das Sagen hatte, würde er wahrscheinlich fliehen und ihn mit der Gicht zurücklassen. Also mußte er ein empfindliches Gleichgewicht bewahren: Ihn verhöhnen, daß sein Bruder heilen konnte und er nicht; und ihn gleichzeitig überzeugen, daß er bereits alles gelernt hatte, was der Kaiser zu lehren hatte, und es jetzt nur noch eine Frage der Übung war, bis er genauso gut darin war, andere Menschen zu beherrschen.
Wenn alles hinhaute, würde der Junge – überzeugt, den letzten Tropfen Wissen aus Napoleons Verstand gequetscht zu haben – schließlich beweisen wollen, daß er seinem Bruder doch gewachsen war. Er würde den Kaiser heilen, dann sofort den Hof verlassen und nach Amerika zurücksegeln, um seinen Bruder herauszufordern – um mit dem, was Napoleon ihm beigebracht hatte, zu versuchen, die Kontrolle über ihn zu bekommen.
Wenn er dort eintraf und nichts von dem funktionierte, was er vom Kaiser gelernt hatte, würde er natürlich auf Rache sinnen und zurückkehren! Aber Napoleon unterwies ihn tatsächlich. Genug, damit er die Schwächen schwacher Menschen ausnutzen konnte, die Furcht ängstlicher Menschen, den Ehrgeiz stolzer Menschen, die Unwissenheit dummer Menschen. Calvin bemerkte allerdings nicht, daß Napoleon ihm keine der wirklich schwierigen Künste beibrachte: zum Beispiel, wie man die Tugend guter Menschen gegen sie einsetzte.
Am komischsten an der ganzen Sache war, daß Calvin von den besten Männern umgeben war, von denen, die Napoleon nur unter den größten Schwierigkeiten hatte einnehmen können. Der Marquis de La Fayette zum Beispiel – er war der Diener, der den Jungen badete, genau, wie er den Kaiser badete. Calvin wäre nie in den Sinn gekommen, daß Napoleon seine gefährlichsten Feinde in seiner Nähe hielt, ohne sich bewußt zu sein, wie er sie erniedrigte. Hätte Calvin irgend etwas verstanden, hätte er gemerkt, daß dies wahre Macht war. Böse Männer, schwache Männer, ängstliche Männer – man konnte sie so leicht kontrollieren. Nur wenn tugendhafte Männer unter Napoleons Herrschaft fielen, verspürte er letztlich die Zuversicht, nach Macht zu greifen, den König zu stürzen, Europa zu erobern und den kriegführenden Nationen seinen Frieden aufzuerlegen.
Calvin wird das nie erleben, weil er selbst ein ängstlicher und ehrgeiziger Mensch ist und nicht begreift, daß andere furchtlos und großzügig sein können. Kein Wunder, daß er seinen älteren Bruder so sehr verabscheut! Nach allem, was Calvin ihm über ihn erzählt hatte, schien Alvin in der Tat ein sehr schwieriger Fall und nur sehr schwer zu brechen zu sein. Allein die Tatsache, daß es Calvins Bruder gab, hielt Napoleon davon ab, seinen Plan zu verwirklichen, seine Heere in Kanada zu verstärken, um zu versuchen, die drei englischsprechenden Nationen Amerikas zu erobern. Es bestand kein Grund, irgend etwas zu tun, das Alvin Smith dazu veranlassen konnte, seine Blicke gen Osten zu richten. Napoleon hatte nicht vor, sich auf solch einen Kampf einzulassen.
Statt dessen würde er Calvin nach Hause schicken, nachdem der Junge große Geschicklichkeit in Subversion,
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