Der Reisende
bin.«
»Warum habt Ihr mir das nicht gesagt, wenn Ihr es gewußt habt?« flüsterte Verily.
»Ich habe es erst gewußt, als sie es sagte. Da schaute ich hin, und ja, in ihrem Leib wächst ein Kind heran. Es ist etwa so groß wie eine Fingerspitze. Es ist noch keine drei Wochen her.«
Verily nickte. Alvin war seit einem Monat im Gefängnis und war davor mehrere Monate lang weit von Vigor Church entfernt durchs Land gewandert. Die Frage lautete, ob er das Mädchen beim Kreuzverhör zu dem Eingeständnis bringen konnte, daß es erst seit kaum einem Monat schwanger war.
Inzwischen hatte Daniel Webster seine Befragung fortgesetzt und Amy die reißerische Schilderung entlockt, wie Alvin sie verführt hatte. Es bestand nicht der geringste Zweifel daran, das Mädchen erzählte eine überzeugende Geschichte, inklusive zahlreicher Einzelheiten, die sie wahrscheinlich klingen ließ. Verily hatte nicht den Eindruck, daß Amy log oder- falls doch – daß sie ihre Lügen selbst glaubte. Einen Augenblick lang hegte er Zweifel an Alvin. Wäre er zu so etwas imstande? Das Mädchen war hübsch und begehrenswert und, ihrem Reden nach zu urteilen, durchaus auch willig. Daß Alvin ein Schöpfer war, hieß noch lange nicht, daß er nicht auch ein Mann war.
Er schüttelte diese Gedanken schnell ab. Alvin Smith war ein Mann mit Selbstbeherrschung, das war die Wahrheit. Und er hatte Ehre. Hätte er mit diesem Kind tatsächlich solche Dinge angestellt, hätte er es bestimmt geheiratet und nicht im Stich gelassen, so daß es die Konsequenzen allein tragen mußte.
Aber es war bezeichnend dafür, wie gefährlich die Aussage des Mädchens war, wenn sie Alvins eigenen Anwalt dazu brachte, an ihm zu zweifeln.
»Und dann hat er Euch verlassen«, sagte Daniel Webster.
Verily überlegte, ob er Einspruch erheben sollte, hielt es aber für sinnlos.
»Ich weiß, es war meine eigene Schuld«, sagte Amy und brach – erneut – jämmerlich in Tränen aus. »Ich hätte meiner besten Freundin Ramona nicht von Alvin und mir erzählen sollen, denn sie hat es überall herumgetratscht, und die anderen verstanden nichts von wahrer Liebe, und so mußte mein Alvin natürlich gehen, weil er ja in der Welt Großes tun muß, man kann ihn jetzt einfach nicht an Vigor Church fesseln. Ich wollte nicht hierher kommen und aussagen! Ich will, daß er frei ist und tun kann, was immer er tun muß! Und wenn mein Baby ohne einen Pa aufwächst, kann ich meinem Kind wenigstens sagen, daß es von edlem Blut abstammt und einen Schöpfer als Vater hat!«
Oh, das war die Krönung des Ganzen. Sie war die leidende Heilige, die sich damit zufrieden gibt, daß »ihr« Alvin ein verlogener, betrügerischer Verführer ist, der einem Mädchen ein Kind andreht und es dann im Stich läßt.
Es war an der Zeit für das Kreuzverhör. Verily mußte dabei in der Tat sehr feinfühlig vorgehen. Er durfte keinen Augenblick lang den Anschein erwecken, er würde dem Mädchen glauben; gleichzeitig jedoch durfte er nicht allzu hart mit ihm umspringen, weil es jetzt das Mitgefühl sämtlicher Geschworenen hatte. Er mußte die Saat des Zweifels sanft pflanzen.
»Es tut mir leid, daß Ihr den weiten Weg hierher kommen mußtet. Für eine junge Dame in Eurem empfindlichen Zustand muß die Reise beschwerlich gewesen sein.«
»Ach, mir geht es gut. Ich kotze einmal am Morgen, und dann geht’s mir den Rest des Tages über prima.«
Die Geschworenen lachten. Ein freundliches, mitfühlendes, vertrauensvolles Lachen. Der Himmel steh mir bei, dachte Verily.
»Seit wann wißt Ihr, daß Ihr ein Baby bekommt?«
»Seit langem«, sagte sie.
Verily runzelte die Stirn. »Das ist eine ziemlich verschwommene Antwort. Aber bevor Ihr meine nächste Frage hört, möchte ich Euch daran erinnern, daß wir notfalls Eure Eltern hierher holen können, um festzustellen, wann genau diese Schwangerschaft begann.«
»Na ja, ich habe es ihnen erst vor ein paar Tagen gesagt«, erwiderte Amy. »Aber ich bin schwanger seit …«
Verily hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen, und schüttelte den Kopf. »Seid vorsichtig, Miss Sump. Wenn Ihr kurz nachdenkt, wird Euch klar werden, daß Eure Mutter ganz genau und Euer Vater wahrscheinlich weiß, daß Ihr erst seid ein paar Wochen schwanger sein könnt.«
Amy betrachtete ihn sehr lange überaus verwirrt. Dann merkte man ihrem Gesicht an, daß es ihr allmählich dämmerte. Schließlich wurde ihr klar: Da ihre Mutter ihre Stofflappen gewaschen hatte, mußte sie wissen,
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