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Der Reisende

Der Reisende

Titel: Der Reisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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nichts an der Tatsache, daß die Anklage Alvins Glaubwürdigkeit untergraben hatte, und zwar beträchtlich.
    Dann wurde Vilate aufgerufen. Marty Laws hatte das Fundament gelegt und konnte nun darauf aufbauen. »Als Mr. Hunter in die Zelle schaute und Euch und Alvin nicht sah … wo wart Ihr da?«
    Vilate tat so, als zögerte sie, die Frage zu beantworten. Er stellte jedoch erleichtert fest, daß sie bei weitem keine so gute Schauspielerin wie Amy Sump war, vielleicht, weil Amy ihre Phantasien selbst halbwegs glaubte, während Vilate … nun ja, sie war kein Schulmädchen, und das waren keine Liebesphantasien. »Ich hätte mich nie von ihm überreden lassen sollen, aber … ich war zu lange allein.«
    »Beantwortet bitte nur die Frage«, sagte Laws.
    »Er brachte mich durch die Gefängnismauer. Wir gingen durch die Mauer. Ich hielt seine Hand.«
    »Und wohin seid Ihr gegangen?«
    »Wir waren schnell wie der Wind … ich hatte den Eindruck, wir würden fliegen. Eine Weile lief ich neben ihm und zog aus seiner Hand Kraft, während er die meine hielt und mich führte; aber dann wurde es zu viel für mich, und ich wurde fast ohnmächtig und konnte nicht mithalten. Er spürte es, wie er nun mal solche Dinge spürt, und nahm mich in seine Arme. Dann trug er mich davon.«
    »Und wohin?«
    »Irgendwohin, wo ich noch nie war.«
    Einige kicherten darüber, was sie ein wenig aus der Fassung zu bringen schien. Entweder war sie sich ihrer Zweideutigkeit nicht bewußt – oder sie war vielleicht doch eine bessere Schauspielerin, als Verily gedacht hatte.
    »Zu einem See. Er war nicht groß, glaube ich – ich konnte das andere Ufer sehen. Wasservögel schwammen auf dem See, aber auf dem grasbewachsenen Ufer, auf dem wir uns … zurücklehnten, waren wir die einzigen Lebewesen. Dieser wunderschöne junge Mann und ich. Er hat mir Versprechungen gemacht und von Liebe gesprochen und …«
    »Könnte man sagen, er hat Euch ausgenutzt?« fragte Marty.
    »Euer Ehren, er legt der Zeugin Worte in den Mund.«
    »Er hat mich nicht ausgenutzt«, sagte Vilate. »Ich habe an allem, was geschehen ist, bereitwillig teilgenommen. Die Tatsache, daß ich es jetzt bedaure, ändert nichts daran, daß er mich in keiner Hinsicht gezwungen hat. Hätte ich natürlich damals gewußt, daß er dasselbe, was er mir gesagt und mit mir gemacht hat, auch diesem Mädchen aus Vigor Church gesagt hat …«
    »Euer Ehren, sie kann unmöglich wissen, was er …«
    »Stattgegeben«, sagte der Richter. »Bitte beschränkt Eure Antworten auf die gestellten Fragen.«
    Verily mußte ihr Geschick bewundern. Es klang, als wollte sie Alvin verteidigen, statt ihn zu vernichten. Als liebte sie ihm.

16 Wahrheit

    Nachdem Verily Vilate in den Zeugenstand gerufen hatte, blieb er einen Augenblick lang sitzen und betrachtete sie. Sie bot ein Bild selbstzufriedener Zuversicht und hatte den Kopf ganz leicht nach links geneigt, als sei sie ein wenig – aber nicht sehr – neugierig darauf zu hören, was er zu sagen hatte.
    »Miss Franker, ich frage mich, ob Ihr mir sagen könnt … als Ihr durch die Gefängniswand gegangen seid, wie seid Ihr da auf Bodenhöhe gekommen?«
    Sie schaute kurz verwirrt drein. »Ach, befindet das Gefängnis sich unter der Bodenhöhe? Na ja, ich vermute, als wir durch die Wand gingen, sind wir … nein, natürlich nicht. Das Gefängnis befindet sich im ersten Stock des Gerichtsgebäudes, etwa zehn Fuß über dem Boden. Das war gemein von Euch. Ihr wolltet mich hereinlegen.«
    »Meine Frage ist noch nicht beantwortet«, sagte Verily. »Es muß doch ein ziemlicher Sturz gewesen sein, nachdem Ihr durch die Wand ins Nichts getreten seid.«
    »Wir haben es ganz sanft gehandhabt. Wir … schwebten auf den Boden hinab. Das war auch ein wirklich bemerkenswertes Erlebnis. Hätte ich gewußt, daß Euch so sehr an den Einzelheiten liegt, hätte ich es direkt erzählt.«
    »Also kann Alvin … schweben.«
    »Er ist wirklich ein bemerkenswerter junger Mann.«
    »Das kann ich mir vorstellen«, sagte Verily. »In der Tat zählt zu seinen außergewöhnlichen Talenten, durch Illusions-Hexagramme sehen zu können. Habt Ihr das gewußt?«
    »Nein, ich … Nein.« Sie schaute verwirrt drein.
    »Zum Beispiel sieht er durch das Hexagramm, das Ihr benutzt, damit die Leute nicht sehen, was für einen Streich Ihr ihnen mit Euren falschen Zähnen spielt. Habt Ihr das gewußt?«
    »Einen Streich spielen?« Sie war zutiefst gekränkt. »Falsche Zähne! Was behauptet Ihr da für

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