Der Reisende
Alvin. »Ich will auch nicht, daß Vilate erniedrigt wird, indem ihre Hexagramme entfernt werden. Sie legt größten Wert darauf, daß man sie für wunderschön hält.«
»Alvin«, sagte Verily. »Ich weiß, Ihr seid ein guter Mann und klüger als ich, aber Ihr seht doch sicher ein, daß Ihr nicht zulassen dürft, daß die Höflichkeit, die Ihr ein paar einzelnen Menschen erweist, alles zerstört, was Ihr hier auf dieser Erde schaffen sollt!«
Die anderen pflichteten ihm bei.
Alvin schaute so elend drein, wie Verily es noch nie bei einem Mann gesehen hatte, und Verily hatte schon Männer gesehen, die man zum Tod am Galgen oder auf dem Scheiterhaufen verurteilt hatte. »Dann versteht Ihr es nicht«, sagte er. »Es stimmt, manchmal müssen Menschen leiden, soll etwas Gutes aus einer Sache erwachsen. Aber wenn es in meiner Macht steht, ihnen dieses Leiden zu ersparen, und ich es selbst erleiden kann, dann werde ich genau das tun. Das gehört zum Schöpfen. Wenn es in meiner Macht steht, werde ich es ertragen. Versteht ihr das nicht?«
»Nein«, sagte Peggy. »Es steht nicht in deiner Macht.«
»Spricht da die ehrliche Fackel? Oder meine Freundin?«
Sie zögerte nur kurz. »Deine Freundin. Dieser Verlauf in deinem Herzfeuer liegt für mich im Dunkeln.«
»Das habe ich mir gedacht. Und ich glaube, der Grund dafür ist … ich muß einfach schöpferisch tätig sein. Ich muß etwas erschaffen, das nie zuvor erschaffen wurde, etwas völlig Neues. Wenn mir das gelingt, kann ich weitermachen. Wenn nicht, werde ich ins Gefängnis gehen, und mein Weg durch das Leben nimmt einen anderen Verlauf.«
»Würdest du wirklich ins Gefängnis gehen?« fragte Arthur Stuart. »Würdest du viele Jahre lang im Gefängnis bleiben?«
Alvin zuckte mit den Achseln. »Es gibt Hexagramme, die ich nicht aufheben kann. Wird man mich verurteilen, wird man mich wohl auf diese Weise festhalten. Doch was würde es schon ausmachen, wenn ich fliehen könnte? Ich könnte mein Werk hier in Amerika nicht vollenden. Und ich weiß nicht, ob ich mein Werk irgendwo anders auf der Welt in Angriff nehmen kann. Falls mein Leben überhaupt einen Sinn hat, gibt es einen Grund dafür, daß ich hier geboren wurde und nicht in England oder Rußland oder China oder sonstwo. Ich muß mein Werk hier vollbringen.«
»Ihr wollt mir also sagen, daß ich die beiden besten Zeugen für Eure Verteidigung nicht aufrufen darf?« fragte Verily.
»Mein bester Zeuge ist die Wahrheit. Irgend jemand wird sie aussprechen, das steht fest. Aber es wird nicht Miss Larner sein, und auch nicht Ramona.«
Peggy bückte sich und schaute Alvin in die Augen. Ihre Gesichter waren keine zehn Zentimeter voneinander entfernt. »Alvin Smith, du schrecklicher Junge, ich habe dir meine Kindheit gegeben, um dich vor dem Unschöpfer zu retten, und jetzt sagst du mir, ich soll daneben stehen und einfach zusehen, wie du dieses Opfer wegwirfst?«
»Ich habe dich bereits um den gesamten Rest deines Lebens gebeten«, sagte Alvin. »Was will ich mit deinem Untergang? Du hast meinetwegen deine Kindheit verloren. Du hast meinetwegen deine Mutter verloren. Verlier nicht noch mehr. Ich hätte alles genommen, ja, und dir auch alles gegeben, aber ich werde nicht weniger nehmen, weil ich nicht weniger geben kann. Du willst nichts von mir annehmen, also nehme ich auch nichts von dir an. Wenn Euch das nicht logisch erscheint, seid Ihr nicht annähernd so klug, wie Ihr immer behauptet, Miss Larner.«
»Warum heiratet ihr beide nicht einfach und macht Babys?« sagte Arthur Stuart. »Das hat Pa gesagt.«
Mit steinernem Gesicht wandte Peggy sich von ihnen ab. »Es muß alles nach deinen Bedingungen geschehen, nicht wahr, Alvin? Alles nach deinen Bedingungen.«
»Nach meinen Bedingungen?« sagte Alvin. »Ich habe nicht die Bedingung gestellt, diese Dinge vor anderen zu dir zu sagen, wenngleich es wenigstens meine Freunde und keine Fremden sind, die das hören müssen. Ich liebe Euch, Miss Larner. Ich liebe dich, Margaret. Ich will dich nicht in diesem Gerichtssaal haben, sondern in meinen Armen, in meinem Leben, in all meinen Träumen und Werken, bis in alle Ewigkeit.«
Peggy wandte das Gesicht von den anderen ab und hielt sich an den Gitterstäben fest.
Arthur Stuart ging zur die Außenseite der Zelle und schaute arglos zu ihr hinauf. »Warum heiratest du ihn nicht einfach, statt so zu weinen? Liebst du ihn nicht? Du bist wirklich hübsch, und er ist ein gutaussehender Mann. Ihr würdet verdammt süße
Weitere Kostenlose Bücher