Der Reisende
nicht einfach dort hineingehen!«
»Wenn die Tür nicht verschlossen war, kann ich eintreten«, sagte Alvin. »Verstehst du denn nicht, was das für ein Ort ist? Das ist der Ort, an dem die Dinge sind, wie sie sein müssen. Nicht wie die Welt da draußen, die Welt, die du in den Herzensfeuern siehst, die Welt der Dinge, die sein können. Und auch nicht die Welt in meinem Kopf, die Welt, wie sie sein könnte. Und auch nicht die Welt, wie sie in Gottes Vorstellung zuerst geschaffen wurde, die Welt, wie sie sein sollte.«
Sie beobachtete, wie er über die Schwelle trat. Im Haus herrschte kein Lärm und Getümmel, war nicht mal ein Geräusch zu vernehmen, dem man entnehmen konnte, daß hier jemand wohnte. Sie folgte ihm. So jung er war, konnte dieser Mann, auf den sie von seiner Geburt an achtgegeben hatte, dieser Mann, dessen Herz sie genauer kannte als ihr eigenes, konnte er sie noch immer mit dem überraschen, was er plötzlich tat, ohne vorher darüber nachzudenken, weil er ganz einfach wußte, daß es richtig war und getan werden mußte.
Das endlose Tuch lag noch immer in Stapel gefaltet da, miteinander verbunden, wand sich über Möbelstücke, Gänge entlang, Treppen hinauf und hinab. Sie mußten immer wieder darüber hinwegtreten. »Kein Staub«, sagte Peggy. »Das ist mir beim erstenmal nicht aufgefallen. Es liegt kein Staub auf dem Tuch.«
»Gibt es hier gute Wirtschafterinnen?« fragte Alvin.
»Die den ganzen Stoff abstauben?«
»Oder vielleicht vergeht innerhalb des Stoffes einfach keine Zeit, und er existiert immer und ewig in genau dem Augenblick, in dem das Schiffchen von einer Seite zur anderen schwingt.«
Als er diese Worte sagte, hörten sie plötzlich das Schiffchen. Jemand mußte eine Tür geöffnet haben.
»Becca?« rief Peggy.
Sie folgten dem Geräusch durch das Haus zu der uralten Hütte im Herzen des Hauses, wo man durch eine Türöffnung den Raum mit dem Webstuhl betreten konnte. Doch zu Peggys Überraschung saß nicht Becca dort, sondern der kleine Junge. Ihr Neffe, der bereits davon geträumt hatte. Mit geübtem Geschick schwang er das Schiffchen hin und her.
»Ist Becca …« Peggy brachte es nicht über sich, sich nach dem Tod der Weberin zu erkundigen.
»Nee«, sagte der Junge. »Wir haben die Regeln hier ein wenig verändert. Keine sinnlosen Opfer mehr. Wißt Ihr, Ihr habt das bewirkt. Kamt als Richterin her … nun ja, man hat auf Euer Urteil gehört. Ich löse sie immer wieder mal für eine Weile ab, und sie kann dann mal den Raum verlassen.«
»Dann müssen wir jetzt mit dir sprechen?« fragte Alvin.
»Kommt drauf an, was Ihr wollt. Ich weiß nix von nix. Wenn ihr also Antworten haben wollt, bin ich wohl der falsche.«
»Ich will die Tür benutzen, die zu Tenskwa-Tawa führt.«
»Zu wem?« fragte der Junge.
»Deinem Onkel Isaac«, sagte Peggy.
»Ach, klar.« Er machte eine Kopfbewegung. »Das ist die da.«
Alvin ging auf sie zu.
»Seid Ihr schon mal durch eine dieser Türen gegangen?« fragte der Junge.
»Nein«, sagte Alvin.
»Tja, dann seid Ihr ziemlich dumm, wenn Ihr einfach darauf zugeht, als wäre es eine ganz gewöhnliche Tür.«
»Ist es denn keine? Ich weiß, daß sie ins Land der Roten führt. Ich weiß, daß sie in das Haus führt, in dem Ta-Kumsaws Tochter die Leben der Roten des Westens webt.«
»Ganz so einfach ist es nicht. Wenn Ihr durch diese Tür geht, darf kein Teil von Euch hier irgend etwas anderes als Luft berühren. Ihr dürft den Türpfosten nicht streifen. Ihr dürft keinen Fuß auf dem Boden verweilen lassen. Es ist kein Schritt durch die Tür, sondern ein Sprung.«
»Und was passiert, wenn ein Teil von mir doch etwas – berührt?«
»Dann zieht dieser Teil dieses Ortes Euch ein wenig hinab, verlangsamt Euch, bremst Euch ab, und Ihr geht nicht mit einer glatten Bewegung durch die Tür, sondern in mehreren Teilen. Und danach kann Euch keiner wieder zusammensetzen, Mr. Maker.«
Peggy war entsetzt. »Ich habe nicht gewußt, daß es so gefährlich ist.«
»Auch das Atmen ist gefährlich«, sagte der Junge, »wenn man irgend etwas einatmet, das einen krank macht.« Er grinste. »Ich habe gesehen, daß Ihr beide ganz verbunden hierher gekommen seid. Herzlichen Glückwunsch.«
»Danke«, sagte Alvin.
»Wie nennt man Euch nun, Richterin?« fragte der Junge Peggy. »Goody Smith?«
»Die meisten nennen mich noch Peggy Larner. Nur daß sie jetzt Miz Larner sagen und nicht mehr Miss.«
»Ich nenne sie Margaret«, sagte Alvin.
»Ich schätze,
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