Der Reisende
einer Vision, Calvin. Ich habe vor, eine Welt zu schaffen. Eine faszinierendere, fesselndere, bezauberndere, kompliziertere, schönere und echtere, als diese Welt es ist.«
»Du willst Gott übertreffen?«
»Er hat viel zuviel Zeit mit Geologie und Botanik verbracht. An Adam hat er erst später gedacht – ach ja, ist schon ein Mensch auf der Erde? Ich werde diesen Fehler nicht machen. Ich werde mich auf die Menschen konzentrieren und den Wissenschaften ordentlich auf die Sprünge helfen.«
»Der Unterschied ist, daß deine Menschen lediglich winzige schwarze Kleckse auf Papier sind«, sagte Calvin.
»Meine Menschen werden echter als diese seichten Kreaturen sein, die Gott geschaffen hat! Aber auch ich werde sie nach meinem Bilde schaffen – nur größer –, und meine werden eine spürbarere Wirklichkeit haben, mehr Innenleben, eine stärkere Verbindung mit der lebenden Welt um sie herum als diese schlammbedeckten Bauern oder diese berechnenden Höflinge des Palastes oder die großspurigen Soldaten und die prahlenden Geschäftsleute, die Paris unter ihrem Daumen halten.«
»Statt mir darüber Sorgen zu machen, daß der Kaiser uns aufhält, sollte ich mir vielleicht lieber welche darüber machen, daß ein Blitz uns trifft«, sagte Calvin.
Es war als Scherz gemeint, aber Honore lächelte nicht. »Calvin, wollte Gott dich wegen irgend etwas auf der Stelle tot umkippen lassen, wärest du mittlerweile schon tot. Ich behaupte nicht zu wissen, ob es Gott gibt, aber ich sage dir eins – der alte Mann geht schon am Stock! Er spuckt noch immer große Töne, ist aber schon längst Vergangenheit. Er bringt es nicht mehr! Er kann uns nicht aufhalten! Oh, vielleicht kann er uns aus seinem Testament streichen, aber wir werden selbst ein Vermögen verdienen, und dann soll der alte Knabe schön zurücktreten, damit wir ihn nicht naßspritzen, wenn wir an ihm vorbeipreschen.«
»Hast du jemals Zweifel an dir selbst empfunden?«
»Nie«, sagte Honore. »Ich lebe mit der ständigen Gewißheit des Scheiterns und der ständigen Gewißheit der Genialität. Es ist eine Art von Wahnsinn, aber ohne ihn ist keine wahre Größe möglich. Dein Problem, Calvin, besteht darin, daß du nie etwas wirklich in Frage stellst. Doch wenn du so fühlst, ist es schon richtig; also fühle ruhig so, und alles andere sollte dir besser aus dem Weg gehen. Wohingegen ich mich bemühe, meine Gefühle zu ändern, denn sie sind immer falsch. Wenn man sich zum Beispiel an eine Frau heranmacht, die man begehrt, handelt der törichte Mann aus seinen Gefühlen heraus und betatscht zum Beispiel eine einladende Brust oder spricht eine plumpe Einladung aus, die ihm nur eine Ohrfeige einbringt und verhindert, daß er den Rest des Jahres über zu den besten Festivitäten eingeladen wird. Doch der kluge Mann sieht der Frau in die Augen und bringt ihr ein Ständchen über ihre erstaunliche Schönheit und gewaltige Klugheit und seine Unfähigkeit, ihr zu erklären, wie sehr sie einen Platz genau in der Mitte des Universums verdient habe. Dem kann keine Frau widerstehen, Calvin, und wenn doch, dann ist sie es nicht wert, daß man sie bekommt.«
Die Kutsche hielt an.
Honore warf die Tür auf. »Riech die Luft!«
»Verfaulender Fisch«, sagte Calvin.
»Die Küste! Ich frage mich, ob ich mich übergeben soll, und falls ja, ob die Seeluft Auswirkungen auf die Farbe und Konsistenz meines Erbrochenen hat.«
Calvin ignorierte seine absichtlich grobe Spöttelei und holte ihre Taschen. Er wußte ganz genau, daß Honore nur unhöflich war, wenn er keinen großen Respekt für seine Gesellschaft hatte; in Gegenwart von Aristokraten gab Honore nur Bonmots und Sinnsprüche von sich. Daß der junge Romanschriftsteller so sprach, war für Calvin kein Zeichen von Vertraulichkeit, sondern von Mißachtung.
Als sie ein geeignetes Schiff mit Ziel Kanada gefunden hatten, zeigte Calvin dem Kapitän den Brief, den Napoleon ihm gegeben hatte. Nachdem Calvin in London eine revidierte und entschärfte Produktion von Hamlet gesehen hatte, bestätigten sich seine schlimmsten Befürchtungen nun jedoch nicht: Der Brief wies den Kapitän nicht an, Calvin und Honore auf der Stelle zu töten – obwohl keine Garantie bestand, daß der Bursche nicht den Befehl erhalten hatte, sie zu erwürgen und über Bord zu werfen, nachdem kein Land mehr in Sicht war.
Warum habe ich solche Angst?
»Also wird der Schatzmeister des Kaisers mich nach meiner Rückkehr für alle Unkosten entschädigen?«
»So
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