Der Reiz des Verbotenen - Page, S: Reiz des Verbotenen
mehr passieren. Keine weiteren Zärtlichkeiten. Keine Berührungen.
Seit sie in einem Gasthof in Lower Dentby Rast gemacht hatten, war sie ruhelos und nervös. Er hatte dort ein Zimmer gemietet, und sie hatte nach mehr Liebesfreuden gehungert. Doch er hatte sich geweigert, sich dem Liebesspiel hinzugeben. Nur aus einem Grund hatte er sie die Treppe hinaufgeführt: um sie anzukleiden.
Als er in jenem Schlafzimmer ihr Korsett geschnürt hatte, war sie dem Wahnsinn nahe gewesen. Sie hatte sich gewünscht – nein, sie hatte danach gelechzt – dass er ihren nackten Körper berührte. Sie hatte gedacht, er würde ihre Brüste streicheln, mit ihrer Möse spielen, ihren Hintern liebkosen, während sie sich anzog. Aber er hatte nichts dergleichen getan. Die Arme vor der Brust verschränkt, hatte er ihr zugesehen, bis sie seine Hilfe beim Korsett und bei den Knöpfen des Kleides benötigte. Er hatte sogar ihr Haar in Ordnung gebracht, während sie die ganze Zeit das große Bett angestarrt hatte. Was er nicht einmal zu bemerken schien.
In dem Bewusstsein, wie auffallend sie damit war, berührte sie die Maske vor ihrem Gesicht. „Bist du sicher, dass mein Kleid dem Anlass angemessen ist?“ Das schlichte Gewand aus weißem Musselin mit rechteckigem Ausschnitt und langen Ärmeln war hübsch, aber sehr sittsam.
Seine Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. „Chartrand wird annehmen, dass du als Teil eines erotischen Rollenspiels vorgibst, ein Mädchen vom Lande zu sein.“ Sein Ton wurde ernster. „Mir wird nichts anderes übrig bleiben, als ihn genau das denken zu lassen. Dass es mir Vergnügen bereitet, dich wie eine keusche Jungfrau zu kleiden.“
Mit diesen Worten setzte er sich wieder auf den Platz neben ihr und sah aus dem Fenster.
Sie hatten das Gebäude fast erreicht. Im Dämmerlicht des regnerischen Nachmittags konnte sie dunkelrote Flecken und schwarze Kreise erkennen, die sich die Steinstufen herunterbewegten: livrierte Diener, die Regenschirme trugen. Goldenes Licht glänzte hinter Hunderten von Fenstern: der Schein von Kerzen und behaglichen Feuern, der, aus der Nähe betrachtet, das Steinhaus in einen komfortablen Hafen verwandelte.
„Es gibt noch eine weitere Regel.“
Sie wandte sich um und begegnete dem Blick seiner türkisfarbenen Augen.
„Du musst mir unter allen Umständen gehorchen.“
Bevor sie protestieren konnte, hielt die Kutsche am Fuß der Steintreppe. Marcus zog die Kapuze ihres Mantels hoch und bedeckte damit ihr Haar. „Fertig, Verführerin?“
Er stieß die Tür auf und stieg aus, bevor die Diener herbeieilen und ihm helfen konnten. Dann streckte er die Arme aus, fasste sie um die Taille und stellte sie neben sich auf den Boden. Der Saum ihres Mantels flatterte im Wind. Neben ihnen mühte sich ein Laufbursche ab, einen großen Regenschirm zu bändigen.
Unter dem Schirmdach stiegen sie hastig die Stufen zum Haus hinauf. Venetia fühlte einen Stich der Enttäuschung, als ein perfekt gekleideter, absolut korrekter Butler sie an der Tür begrüßte. War dies tatsächlich eine Orgie? Es schien eine ganz normale, private Gesellschaft zu sein.
Der große, dünne Butler erkannte Marcus offensichtlich. Er verbeugte sich. „Lord Trent.“ Eine weitere Verbeugung galt ihr. „Madam.“
Der Diener hatte sie nicht fälschlich für seine Ehefrau gehalten. Sicher gab es bei einer Veranstaltung wie dieser keine Ehefrauen.
Marcus bot ihr seinen Arm. Sein fester Unterarm gab ihr ein Gefühl von Sicherheit. Er drückte leicht ihre Finger, während sie dem Laufburschen, der sie zu ihren Zimmern führte, durch die Halle folgten. Der Weg zu der gläsernen, zweiflügligen Tür am anderen Ende des Raumes mit dem faszinierenden, achteckigen Grundriss führte über eine endlos scheinende Reihe schwarzer und weißer Marmorplatten. Die Decke der Halle war gewölbt wie die eines Domes und mit zierlichen Rokokoornamenten geschmückt.
Nur ein einziges Mal war sie bisher in einem Landhaus gewesen, das ähnlich bezaubernd war wie dieses – dem ihrer Großeltern mütterlicherseits, des Earl und der Countess of Warren. Und das war nur möglich gewesen, weil man an jenem Tag das Haus der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatte. Sie, ihre Schwestern und ihre Mutter waren eine von vielen Familien gewesen, die man durch den Ballsaal, das Musikzimmer, den Wintergarten und die berühmte Galerie geführt hatte.
Beim Anblick der Portraits ihrer Großeltern – sie hatte sie zum allerersten Mal gesehen –
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