Der Reiz des Verbotenen - Page, S: Reiz des Verbotenen
zuzufügen.
Sollte er ihr einfach antworten und es hinter sich bringen? Einfach sagen „Ich habe meinen Vater umgebracht“ und den Rest der unvermeidlichen Fragen überhören? Stattdessen knurrte er: „Verdammt noch mal! Es spielt keine Rolle, warum ich es getan habe, es ging um die Ehre, um eine Frage des Anstands.“
Doch so war es nicht gewesen. Es war blinde Wut gewesen, die ihn angetrieben hatte.
„Du hast hier drinnen das Kommando übernommen“, sagte sie. „Du hast Chartrand die Sache aus der Hand genommen. Wirst du versuchen, herauszufinden, wer Lydias Mörder ist?“
„Ich werde das dem Richter überlassen. Lass das Gesetz walten.“ Sein einziges Anliegen war, seine Schwester und den Namen seiner Familie zu schützen. Sein einziger Plan war, weiter nach dem verdammten Manuskript zu suchen.
Venetia richtete sich auf. „Aber wird das Gesetz Lydias Tod ernst nehmen? Schließlich war sie eine Kurtisane. Werden sie sich überhaupt um die Sache kümmern?“
„Hör auf damit.“ Marcus griff nach ihren Händen und zog sie vom Bett weg. Sie trug noch immer ihre Maske, und er löste die Bänder und zog sie ihr vom Gesicht. Ihre Wangen waren kalkweiß, ihre Augen riesengroß.
Sie schlug die Hand vor den Mund. „Beim Dinner hat sie von einem Manuskript gesprochen!“, rief sie. „Was, wenn sie es mit hierhergebracht hat? Was, wenn darin all die Geheimnisse festgehalten sind? Was, wenn meine drinstehen? Ich muss nachsehen …“
„Du bleibst hier. In meinem Zimmer. Ich werde nach Lydias Manuskript suchen.“
„Aber wir müssen gleich jetzt nachsehen! Was, wenn jemand anderes es findet?“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Ihr Zimmer ist wahrscheinlich abgeschlossen.“
„Ich habe einen Dietrich.“
Sie zog die Brauen hoch. „Einen Dietrich?“
„Ein Werkzeug, um Schlösser zu öffnen“, erklärte er ihr, als wäre es die normalste Sache der Welt, so etwas mit zu einer Orgie zu bringen. „Ich habe Lydias Zimmer schon gestern Abend durchsucht, aber ich habe kein Manuskript, keinen Taschenkalender oder irgendeine Art von Tagebuch gefunden. Allerdings musste ich die Suche abbrechen, weil ich sonst von ihrer Zofe erwischt worden wäre.“ Er gab sich Mühe, kühl und beherrscht zu sprechen und unbeteiligt zu erscheinen. Er durfte keine Emotionen zeigen, durfte sie nicht wissen lassen, dass Lydia Harcourt auch die Geheimnisse seiner Familie gekannt hatte.
„Du hast gestern Abend ihr Zimmer durchsucht?“ Arglose Unschuld stand in ihren grün gefleckten, haselnussbraunen Augen. „Für mich? Du hattest keinen Sex mit anderen Frauen?“
Er hörte die Unsicherheit in ihrer Stimme – zu wissen, dass er ihr treu gewesen war, war eine Erleichterung für sie. Hieß das, dass sie mehr wollte, als er ihr geben konnte? „Nein, ich hatte keinen Sex mit anderen Frauen. Und falls das Buch in Lydias Zimmer ist, hat sie es gut versteckt. Oder sie hat es gar nicht mitgebracht. Ich will, dass du im Bett bleibst, in meinem Bett, und geh nicht …“
„Oh nein, ihr Buch ist sehr wertvoll für sie“, unterbrach sie ihn. „Lydia würde nicht wagen, es zu Hause zu lassen. Was, wenn ein Feuer ausbräche oder es irgendein anderes Unglück gäbe? Lydias Haushälterin wusste sicher, dass ihre Herrin eine Erpresserin war und dass sie kostbare Geheimnisse zu bewahren hatte. Ich weiß, wie sorgfältig man über kreative Arbeit wacht, und deshalb bin ich sicher, dass sie das Manuskript mit hierhergebracht hat. Ich komme mit dir, um es zu suchen.“
„Das wirst du ganz sicher nicht tun. Du hast einen schweren Schock erlitten …“
„Und ich will aus diesem Zimmer heraus! Wenn ich eines gelernt habe, dann mich nicht hinzuhocken und die Hände zu ringen, sondern etwas zu tun. Und ich bin eine Frau. Hast du jemals nach dem Tagebuch deiner Schwester gesucht?“
Ein Pfeil bohrte sich in sein Herz. Er hatte es getan, aber nicht um Min mit ihren kleinen Geheimnissen aufzuziehen. „Na gut. Ich gebe es zu. Ich habe es gesucht und niemals gefunden.“
„Der Mörder muss es gefunden haben!“ Venetia vergaß zu flüstern, während ihr das Herz bis in die Kniekehlen rutschte. Lydias Zimmer war völlig verwüstet. Ihre Kleider und Korsetts lagen vor dem offenen Kleiderschrank, die Decken und Laken waren vom Bett gezerrt worden.
Marcus ließ das schmale Metallwerkzeug – den Dietrich – in seine Manteltasche gleiten. Er schüttelte den Kopf und erklärte mit leiser Stimme: „Dies sieht nach einer hastigen Suche
Weitere Kostenlose Bücher