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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Offiziere«, sagt er. »Von allen Truppengattungen. Und für mittlere Beamte. Und für Handelsdelegationen natürlich. Es stimuliert die Geschäfte. Man kann hier Leute kennenlernen. Ohne so etwas kann man nicht gut Geschäfte machen. Wir versuchen, den Leuten zumindest das zu bieten, was ihnen woanders auch geboten wird. Außerdem hört man hier so manches, bekommt Informationen. Männer erzählen einer Frau manchmal etwas, was sie einem anderen Mann nicht erzählen würden.«
    »Nein«, sage ich, »ich meine die Frauen.«
    »Ach so«, sagt er. »Na ja, manche sind richtige Profis. Prostis« – er lacht – »aus der Zeit davor. Sie konnten nicht angepaßt werden. Und die meisten ziehen das hier auch vor.«
    »Und die anderen?«
    »Die anderen?« sagt er. »Na, da haben wir eine ganze Sammlung. Die da drüben, die in Grün, das ist eine Soziologin. Oder war es einmal. Die dort war Juristin, die dort war Geschäftsfrau, in leitender Position, irgendeine Schnellrestaurant-Kette, aber vielleicht waren es auch Hotels. Ich habe gehört, daß man sich sehr gut mit ihr unterhalten kann, wenn einem nur nach Reden zumute ist. Ihnen gefällt das hier auch besser.«
    »Als was?« frage ich.
    »Als die Alternativen«, sagt er. »Vielleicht würdest du es sogar dem, was du hast, vorziehen.« Er sagt das in affektiertem Ton, er möchte Widerspruch, er möchte Komplimente hören, und ich weiß, daß der ernste Teil der Unterhaltung jetzt beendet ist.
    »Ich weiß nicht«, sage ich, als zöge ich es in Betracht. »Vielleicht ist es sehr anstrengend.«
    »Du müßtest jedenfalls auf deine Linie aufpassen, so viel ist sicher«, sagt er. »Da sind sie ganz streng. Nimm zehn Pfund zu, und sie stecken dich in Einzelhaft.« Macht er einen Witz? Sehr wahrscheinlich, aber ich will es nicht einmal wissen.
    »Und jetzt«, sagt er, »um dich ein bißchen in Stimmung zu bringen, wie wär's mit einem kleinen Drink?«
    »Ich darf nicht«, sage ich. »Das weißt du doch.«
    »Einmal wird nichts schaden«, sagt er. »Und es würde auch nicht gut aussehen, wenn du es nicht tätest. Es gibt hier kein Nikotin- und Rauchtabu! Du siehst, man hat hier einige Vorteile.«
    »Gut«, sage ich. Insgeheim gefällt mir die Idee, ich habe seit Jahren nichts mehr getrunken.
    »Was soll es denn sein?« fragt er. »Es gibt hier alles. Importiert.«
    »Ein Gin-Tonic«, sage ich. »Aber bitte schwach. Ich will dir keine Schande machen.«
    »Das wirst du nicht«, sagt er grinsend. Er steht auf, dann nimmt er überraschend meine Hand und küßt sie, auf die Handfläche. Dann geht er fort, in Richtung der Bar. Er hätte eine Bedienung herwinken können, es gibt ein paar, in identischen schwarzen Miniröcken, mit Pompons auf den Brüsten, aber sie sind offensichtlich sehr beschäftigt und schwer herbeizuwinken.
     
    Dann sehe ich sie. Moira. Sie steht mit zwei anderen Frauen drüben an dem Springbrunnen. Ich muß noch einmal hinschauen, ganz genau, um mich zu vergewissern, ob sie es wirklich ist. Ich tue es in Etappen, indem ich meine Blicke mehrmals kurz hinüberhuschen lasse, damit niemand es merkt.
    Sie ist absurd gekleidet: ein schwarzer Dress aus einst glänzendem Satin, der abgetragen und schäbig aussieht. Das Kleid ist schulterfrei und von innen mit Draht verstärkt, damit es die Brüste hebt, aber es paßt Moira nicht richtig, es ist zu groß, so daß die eine Brust halb herausgedrückt wird und die andere nicht. Sie zupft abwesend an dem Oberteil, zieht es hoch. Hinten ist ein Wattebausch aufgenäht, ich sehe es, als sie sich halb umdreht, der Wattebausch sieht wie eine Monatsbinde aus, die wie Popcorn aufgeplatzt ist. Mir geht auf, daß es ein Schwanz sein soll. An ihrem Kopf sind zwei Ohren befestigt, Hasen- oder Rehohren, es ist schwer zu erkennen, bei dem einen fehlt die Verstärkung oder der Draht, so daß es halb herunterhängt. Sie trägt eine schwarze Fliege um den Hals, schwarze Netzstrümpfe und schwarze Stöckelschuhe. Sie hat hohe Absätze immer gehaßt.
    Das ganze Kostüm, antiquiert und verrückt, erinnert mich an irgend etwas aus der Vergangenheit, aber mir fällt nicht ein, woran. Ein Theaterstück, ein Musical? Mädchen, für Ostern in Häschenkostüme gekleidet? Was hat es hier für eine Bedeutung, warum gelten Hasen als sexuell attraktiv für Männer? Wie kann dieses abgewrackte Kostüm irgend jemanden ansprechen?
    Moira raucht eine Zigarette. Sie nimmt einen Zug und gibt sie dann an die Frau zu ihrer Linken weiter, die in rotem Flitter

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