Der Report der Magd
unpenetrierbar sein. Sie redete uns mit Mädels an.
Auch Desglen, neben mir, schweigt. Sie hat ihre rotbehandschuhten Hände in die Ärmel geschoben, um sie zu verbergen.
Der Dolmetscher wendet sich wieder der Gruppe zu und redet stakkatohaft auf sie ein. Ich weiß, was er ihnen jetzt sagen wird, ich kenne die Sprachregelung. Er erzählt ihnen, daß die Frauen hier andere Sitten gewohnt sind und daß es für sie dem Akt einer Vergewaltigung gleichkommt, durch die Linsen einer Kamera angestarrt zu werden.
Ich schaue zu Boden, auf den Bürgersteig, wie hypnotisiert von den Füßen der Frauen. Eine von ihnen trägt offene Sandalen, ihre Fußnägel sind rot lackiert. Ich erinnere mich an den Geruch von Nagellack und daran, wie der Nagellack faltig wurde, wenn man die zweite Schicht zu schnell auftrug, an das seidige Entlangstreichen hauchdünner Strumpfhosen an der Haut, und daran, wie die Zehen sich anfühlten, wenn sie vom Gewicht des ganzen Körpers zu der Öffnung vorn im Schuh hingeschoben wurden. Die Frau mit den lackierten Fußnägeln tritt von einem Fuß auf den anderen. Ich spüre ihre Schuhe an meinen Füßen. Der Geruch des Nagellacks hat mich hungrig gemacht.
»Entschulden Sie«, sagt der Dolmetscher wieder, um unsere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ich nicke, um zu zeigen, daß ich ihn gehört habe.
»Er fragt, ob Sie glücklich sind«, sagt der Dolmetscher. Ich kann sie mir vorstellen, ihre Neugier: Sind sie glücklich? Wie können sie glücklich sein? Ich spüre förmlich ihre blanken schwarzen Augen auf uns, ahne, wie sie sich ein wenig vorbeugen, um unsere Antworten zu verstehen, besonders die Frauen, aber auch die Männer: Wir sind geheim, verboten, wir erregen sie.
Desglen sagt nichts. Es herrscht Schweigen. Doch manchmal ist es ebenso gefährlich, nicht zu sprechen.
»Ja, wir sind sehr glücklich«, murmele ich. Denn irgend etwas muß ich sagen. Und was kann ich anderes sagen?
Kapitel sechs
Einen Block nach Alles Fleisch hält Desglen zögernd inne, als sei sie im Zweifel darüber, welchen Weg wir einschlagen wollen. Wir haben die Wahl. Wir können den Weg, den wir gekommen sind, zurückgehen, oder wir können einen längeren Umweg machen. Wir wissen schon, welchen Weg wir einschlagen werden, denn wir schlagen ihn jedesmal ein.
»Ich würde gern an der Kirche vorbeigehen«, sagt Desglen, als wäre es ein frommer Wunsch.
»Ist gut«, sage ich, obwohl ich genausogut wie sie weiß, worauf sie in Wirklichkeit aus ist.
Wir gehen ruhig und gelassen weiter. Die Sonne scheint, am Himmel sind weiße flockige Wölkchen von der Art, die wie Schafe ohne Köpfe aussehen. Mit unseren Flügeln, unseren Scheuklappen, ist es schwer, nach oben zu schauen, schwer, den Himmel oder irgend etwas anderes ganz zu überblicken. Aber wir können es trotzdem, ein Stückchen nach dem andern, eine schnelle Kopfbewegung nach der andern, auf und ab, zur Seite und zurück. Wir haben gelernt, die Welt in kurzen Atemzügen zu sehen.
Rechts, wenn man dort weitergehen könnte, ist eine Straße, die einen zum Fluß hinunterführen würde. Dort sind ein Bootshaus, in dem früher die Skulls aufbewahrt wurden, und mehrere Stege, Bäume, grüne Uferböschungen, wo man sitzen und das Wasser und die jungen Männer beobachten konnte, mit ihren nackten Armen und ihren Riemen, die sich in die Sonne hoben, während sie dem Sieg entgegenruderten. An dem Weg zum Fluß stehen die alten Studentenheime, die jetzt für andere Zwecke genutzt werden, mit ihren weiß und gold und blau gestrichenen Märchentürmchen. Wenn wir an die Vergangenheit denken, suchen wir uns die schönen Dinge aus. Wir möchten glauben, daß alles so war.
Auch das Football-Stadion ist unten am Fluß. Dort finden die Errettungen der Männer statt. Und ebenso die Football-Spiele. Die gibt es immer noch.
Ich gehe nicht mehr zum Fluß hinunter und nicht mehr über Brücken. Ich fahre auch nicht mehr mit der Untergrundbahn, obwohl gleich hier eine Station ist. Wir dürfen es nicht, dort stehen jetzt Wächter, und es gibt für uns keinen offiziellen Grund, die Treppen hinunterzugehen und mit dem Zug unter dem Fluß hindurch zur Stadtmitte zu fahren. Warum sollten wir von hier nach dort fahren wollen? Es hieße, daß wir nichts Gutes im Schilde führen, und die Wächter würden es wissen.
Die Kirche ist klein, eine der ersten, die hier vor Hunderten von Jahren errichtet wurde. Sie wird nicht mehr benutzt, außer als Museum. Im Innern kann man sich Bilder
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