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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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hat. Willste eine? Wirft mir das Päckchen rüber, enorm großzügig, wenn man bedenkt, daß es meine sind.
    Besten Dank, sage ich säuerlich. Du spinnst. Wo hast du denn die Schnapsidee her?
    Ich arbeite mich redlich durchs College. Hab eben meine Connections. Freundin von meiner Mutter. Riesenmasche in den Villenvororten. Wenn die so langsam Altersflecken kriegen, meinen sie, sie müssen die Konkurrenz schlagen. Die Porno-Shops und weiß der Teufel was noch.
    Ich muß lachen. Sie brachte mich immer zum Lachen.
    Aber hier? sage ich. Wer soll da kommen? Wer braucht sowas?
    Man ist nie zu jung zum Lernen, sagt sie. Komm, das wird die Masche. Wir machen uns in die Hose vor Lachen.
     
    Haben wir so gelebt damals? Aber wir haben gelebt, wie es üblich war. Alle tun das, meistens jedenfalls. Alles, was vor sich geht, ist wie üblich. Sogar dies jetzt ist wie üblich.
    Wir haben wie üblich gelebt, indem wir ignorierten. Ignorieren ist nicht das gleiche wie Ignoranz, man muß etwas dazu tun.
    Nichts verändert sich auf einen Schlag: In einer nach und nach immer heißer werdenden Badewanne wäre man totgekocht, ehe man es merkt. Natürlich standen Geschichten in den Zeitungen: Leichen in Straßengräben oder im Wald, zu Tode geknüppelt oder verstümmelt, böse zugerichtet, wie es immer hieß, aber in diesen Geschichten ging es um andere Frauen, und die Männer, die so etwas taten, waren andere Männer. Keiner von denen gehörte zu den Männern, die wir kannten. Die Zeitungsgeschichten waren für uns wie schlechte Träume, wie Alpträume, die andere träumten. Schrecklich, sagten wir, und sie waren es, aber sie waren schrecklich, ohne glaubhaft zu sein. Sie waren zu melodramatisch, sie hatten eine Dimension, die nicht die Dimension unseres Lebens war.
    Wir waren die Leute, über die nichts in der Zeitung stand. Wir lebten auf den leeren weißen Stellen, an den Rändern. Das gab uns mehr Freiheit.
    Wir lebten in den Lücken zwischen den Geschichten.
     
    Von unten, von der Einfahrt dringt das Geräusch des Motors, der angelassen wird, herauf. Es ist eine ruhige Gegend hier, ohne viel Verkehr, deshalb hört man bestimmte Dinge sehr deutlich: laufende Automotoren, Rasenmäher, Heckenscheren, das Zuschlagen einer Tür. Man könnte auch einen Schrei deutlich hören, oder einen Schuß, wenn solche Geräusche hier überhaupt gemacht würden. Manchmal hört man ferne Sirenen.
    Ich gehe ans Fenster und setze mich auf den Fenstersitz, der zu schmal ist, um bequem zu sein. Ein hartes kleines Kissen liegt darauf. Auf den Bezug ist in eckigen Druckbuchstaben das Wort GLAUBE gestickt, umgeben von einem Lilienkranz. Das Wort GLAUBE ist blaßblau, die Lilienblätter schmutziggrün. Es ist ein Kissen, das früher irgendwo anders benutzt wurde, ein wenig verschlissen, aber nicht genug, um es wegzuwerfen. Irgendwie ist es übersehen worden.
    Ich kann Minuten, Viertelstunden damit verbringen, die Augen über die Buchstaben gleiten zu lassen: GLAUBE. Es ist das einzige, was man mir zu lesen gegeben hat. Wenn ich dabei ertappt würde, würde es zählen? Ich habe das Kissen ja nicht selbst hergebracht.
    Der Motor läuft, und ich beuge mich vor, ziehe aber dabei die weiße Gardine vor mein Gesicht, wie einen Schleier. Sie ist dünn, ich kann hindurchsehen. Wenn ich die Stirn an das Glas drücke und hinunterschaue, sehe ich die hintere Hälfte des Whirlwind. Niemand ist da, aber während ich noch hinunterschaue, sehe ich Nick zur hinteren Tür des Autos herumkommen, sie öffnen und steif danebenstehen. Seine Mütze sitzt jetzt gerade, und seine Hemdsärmel sind heruntergerollt und zugeknöpft. Sein Gesicht kann ich nicht sehen, weil ich auf ihn hinunterschaue.
    Jetzt kommt der Kommandant heraus. Ich erhasche nur einen flüchtigen, perspektivisch verkürzten Blick von ihm, als er zum Auto geht. Er hat seine Mütze nicht auf, er geht also nicht zu einer offiziellen Angelegenheit. Sein Haar ist grau. Silbern könnte man es nennen, wenn man freundlich sein wollte. Ich habe keine Lust, freundlich zu sein. Sein Vorgänger war glatzköpfig, also ist er wohl eine Verbesserung.
    Wenn ich aus dem Fenster spucken oder etwas hinunterwerfen könnte, das Kissen zum Beispiel, würde ich ihn vielleicht treffen.
     
    Moira und ich, beide mit Papiertüten, die mit Wasser gefüllt waren. Wasserbomben wurden sie genannt. Wir beugen uns aus meinem Zimmer im Studentenheim und lassen sie den Jungen unten auf die Köpfe fallen. Es war Moiras Idee. Was wollten sie

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