Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
Vom Netzwerk:
kann, zu viele Geschmacksnoten, in der Luft oder auf der Zunge, Zwischentöne, zu viele. Doch solltest du ein Mann sein, irgendwann in der Zukunft, und es bis hierher geschafft haben, dann bedenke bitte: Du wirst niemals der Versuchung unterworfen sein, das Gefühl zu haben, daß du vergeben müßtest, einem Mann vergeben, als Frau. Es ist schwer, dieser Versuchung zu widerstehen, glaube mir. Aber bedenke, daß Vergeben auch Macht bedeutet. Darum zu bitten bedeutet Macht, und die Vergebung zu verweigern oder zu gewähren bedeutet auch Macht, vielleicht sogar die größte.
    Vielleicht geht es bei alledem gar nicht um Herrschaft und Macht. Vielleicht geht es gar nicht darum, wer wen besitzen kann, wer wem ungestraft etwas antun kann, bis hin zum Tod. Vielleicht geht es gar nicht darum, wer sitzen darf und wer knien muß oder stehen oder sich hinlegen, mit geöffneten Beinen. Vielleicht geht es darum, wer wem was antun kann und dafür Vergebung erlangt. Sage ja niemand, das liefe auf das gleiche hinaus.
     
    Ich möchte, daß du mich küßt, sagte der Kommandant.
    Nun, natürlich kam vorher noch etwas. Solche Bitten kommen niemals aus heiterem Himmel.
     
    Schließlich schlief ich doch ein, und ich träumte, daß ich Ohrringe trug und daß einer davon kaputt war – weiter nichts, das Gehirn ging nur seine Kartei von Vergangenem durch, und dann wurde ich von Cora mit dem Essenstablett geweckt, und die Zeit war wieder im Geleise.
    »Ist es ein gesundes Kind?« fragt Cora, als sie das Tablett absetzt. Sie muß es schon wissen, sie haben eine Art Telegrafensystem von Mund zu Mund, von einem Haushalt zum andern, Neuigkeiten verbreiten sich schnell. Aber es macht ihr trotzdem Freude, es noch einmal zu hören, als machten meine Worte es wirklicher.
    »Es geht ihm gut«, sage ich. »Ein kräftiges Kind. Ein Mädchen.«
    Cora lächelt mich an. Es ist ein Lächeln, das mich einbezieht. Dies sind anscheinend die Augenblicke, die ihr das, was sie tut, lohnend erscheinen lassen.
    »Das ist gut«, sagt sie. Ihre Stimme klingt fast sehnsüchtig, und ich denke: Natürlich, sie wäre auch gern dabeigewesen. Es ist wie ein Fest, zu dem sie nicht gehen durfte.
    »Vielleicht bekommen wir ja auch bald eins«, sagt sie schüchtern.
    Mit wir meint sie mich. Es ist an mir, mich bei den anderen zu revanchieren, meine Verpflegung und Versorgung hier im Haus zu rechtfertigen, wie eine Ameisenkönigin mit Eiern. Es mag sein, daß Rita mich mißbilligt, aber Cora nicht. Sie verläßt sich vielmehr auf mich. Sie hofft, und ich bin das Vehikel ihrer Hoffnung.
    Ihre Hoffnung ist von der einfachsten Art. Sie wünscht sich einen Geburts-Tag, hier, mit Gästen und Essen und Geschenken, sie wünscht sich ein kleines Kind, das sie in der Küche verwöhnen kann, für das sie Kleider bügeln, dem sie Kekse zustecken kann, wenn niemand herschaut. Und ich soll ihr diese Freuden verschaffen. Mir wäre die Mißbilligung lieber, weil ich das Gefühl habe, ich hätte sie eher verdient.
    Zum Abendessen gibt es Rindereintopf. Es fällt mir schwer, meine Portion aufzuessen, weil mir nach der Hälfte wieder einfällt, was der Tag aus meinem Kopf ausradiert hatte. Es stimmt, was sie sagen, Gebären oder Dabeisein – es ist ein tranceartiger Zustand, man verliert sein übriges Leben aus den Augen, man richtet die Aufmerksamkeit nur auf diesen einen Augenblick. Aber jetzt fällt es mir wieder ein, und ich weiß, daß ich nicht darauf vorbereitet bin.
     
    Die Uhr unten im Flur schlägt neun. Ich presse die Hände seitlich an meine Schenkel, atme ein, mache mich auf den Weg durch den Flur und gehe leise die Treppe hinunter. Serena Joy ist vielleicht noch in dem Haus, in dem die Geburt stattfand; das wäre ein glücklicher Zufall, das kann er nicht vorhergesehen haben. Heutzutage halten sich die Ehefrauen dort noch stundenlang auf, helfen die Geschenke auszupacken, klatschen, betrinken sich. Irgend etwas müssen sie ja tun, um ihren Neid zu zerstreuen. Ich gehe durch den Flur im Erdgeschoß nach hinten, an der Tür vorbei, die in die Küche führt und weiter zur nächsten Tür, der seinen. Ich stehe davor, und mir ist zumute wie einem Kind, das in der Schule zum Direktor bestellt worden ist. Was habe ich Böses getan?
    Meine Anwesenheit hier verstößt gegen das Gesetz. Es ist uns verboten, mit den Kommandanten zusammen allein zu sein. Wir dienen zu Fortpflanzungszwecken. Wir sind keine Konkubinen, Geishas, Kurtisanen. Im Gegenteil: alles nur Mögliche ist getan worden,

Weitere Kostenlose Bücher