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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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natürlich.
    »Du mußt dies seltsam finden«, sagt er.
    Ich sehe ihn nur an. Die Untertreibung des Jahres, wie meine Mutter in solchen Fällen sagt. Sagte.
    Ich fühle mich wie Zuckerwatte: Zucker und Luft. Einmal fest drücken, und ich werde mich in einen kleinen gräßlichen feuchten Klumpen von weinendem Rosarot verwandeln.
    »Wahrscheinlich ist es in der Tat ein wenig seltsam«, sagt er, als hätte ich geantwortet.
    Ich denke, daß ich eigentlich einen Hut aufhaben müßte, der mit einer Schleife unter dem Kinn festgebunden ist.
    »Ich will…«, sagt er.
    Ich versuche, mich nicht nach vorn zu beugen. Ja? Ja? Ja? Was denn? Was will er? Aber ich werde sie nicht verraten, diese Begierde. Es ist eine geschäftliche Besprechung, es werden Dinge ausgetauscht werden. Wer nicht zögert, ist verloren. Ich gebe nichts umsonst weg, ich verkaufe nur.
    »Ich hätte gern – «, sagt er. »Es wird komisch klingen.« Und er sieht wirklich verlegen aus, befangen war das Wort dafür, so wie Männer früher manchmal aussahen. Er ist alt genug, um sich daran zu erinnern, wie man ein solches Gesicht macht. Auch um sich daran zu erinnern, wie unwiderstehlich Frauen das manchmal fanden. Die jüngeren kennen diese Tricks nicht mehr. Sie haben sie nie anwenden müssen.
    »Ich hätte gern, daß du Scrabble mit mir spielst«, sagt er.
    Ich halte mich stocksteif. Ich mache ein unbewegtes Gesicht. Das ist es also, was in dem verbotenen Zimmer stattfindet! Scrabble! Ich würde am liebsten laut loslachen, schreien vor Lachen, vom Stuhl fallen. Scrabble war einst das Spiel alter Frauen, alter Männer, in der Sommerfrische oder in den Villen der Pensionierten, ein Spiel, das man spielte, wenn es nichts Gescheites im Fernsehen gab. Auch Jugendliche spielten es, früher, vor langer langer Zeit. Meine Mutter hatte ein Scrabble-Spiel, das hinten im Dielenschrank aufbewahrt wurde, bei den Pappschachteln mit dem Weihnachtsbaumschmuck. Einmal versuchte sie, mich dafür zu interessieren, als ich dreizehn war und das heulende Elend hatte und nichts mit mir anzufangen wußte.
    Jetzt ist es natürlich etwas anderes. Jetzt ist es verboten, für uns jedenfalls. Jetzt ist es gefährlich. Jetzt ist es unschicklich. Jetzt ist es etwas, was er mit seiner Frau nicht tun darf. Jetzt ist es reizvoll. Jetzt hat er sich kompromittiert. Es ist, als hätte er mir Drogen angeboten.
    »Also gut«, sage ich, als sei es mir gleichgültig. In Wirklichkeit kann ich kaum sprechen.
    Er sagt nicht, warum er mit mir Scrabble spielen will. Ich frage ihn nicht. Er nimmt nur eine Schachtel aus einer der Schubladen in seinem Schreibtisch und öffnet sie. Da sind die plastiküberzogenen hölzernen Spielmarken, an die ich mich erinnere, das in Quadrate aufgeteilte Brett, die kleinen Leisten, in die man die Buchstaben legt. Er schüttet die Spielmarken auf seinen Schreibtisch und fängt an, sie umzudrehen. Nach einer Weile helfe ich ihm dabei.
    »Du weißt, wie man es spielt?« fragt er.
    Ich nicke.
    Wir spielen zwei Spiele. Larynx, lege ich. Valenz. Quitte. Zygote. Ich halte die glänzenden Spielmarken mit ihren glatten Kanten in der Hand, betaste die Buchstaben. Es ist ein wollüstiges Gefühl. Dies ist die Freiheit, oder doch ein Hauch von ihr. Limbus, lege ich. Galle. Was für ein Luxus! Die Spielmarken sind wie Bonbons, aus Pfefferminz gemacht und ebenso kühl. Humbugs hießen sie. Ich würde sie gern in den Mund stecken. Sie würden auch nach Limonen schmecken. Der Buchstabe C. Frisch, eine Spur scharf auf der Zunge, köstlich.
    Ich gewinne das erste Spiel, lasse ihn das zweite gewinnen. Noch habe ich nicht herausgefunden, welches die Bedingungen sind, was ich mir als Gegenleistung erbitten kann.
    Schließlich sagt er, daß es jetzt Zeit für mich sei, nach Hause zu gehen. Das sind die Worte, die er benutzt: nach Hause gehen. Er meint: in mein Zimmer. Er fragt mich, ob ich gut hinkommen werde, als ob die Treppe eine dunkle Straße wäre. Ich sage ja. Wir öffnen seine Zimmertür, nur einen Spalt, und horchen auf Geräusche in der Diele.
    Es ist wie eine Verabredung mit einem Jungen. Wie wenn man sich nach Stunden zurück ins Studentenwohnheim schleicht.
    Es ist eine Verschwörung.
    »Danke«, sagt er. »Für das Spiel.« Dann sagt er: »Ich möchte, daß du mich küßt.«
    Ich denke daran, wie ich den Spülkasten auseinandernehmen könnte, den Spülkasten in meinem Badezimmer, an einem Badeabend, schnell und leise, so daß Cora draußen auf dem Stuhl mich nicht hören würde.

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