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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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um uns aus dieser Kategorie herauszuhalten. Nichts an uns soll unterhaltsam sein, kein Raum darf dem Erblühen heimlicher Lüste gewährt werden, keine besonderen Vergünstigungen dürfen erschmeichelt werden, weder von ihnen noch von uns, es darf keine Anknüpfungspunkte für Liebesbeziehungen geben. Wir sind zweibeinige Schöße, mehr nicht: heilige Gefäße, wandelnde Kelche.
    Warum also will er mich sehen, bei Nacht, allein?
    Falls ich erwischt werde, bin ich Serena auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Er darf sich in solche Dinge, die der Haushaltsdisziplin unterliegen, nicht einmischen. Das ist Frauensache. Und danach kommt die Deklassifizierung. Ich könnte zur Unfrau gemacht werden.
    Doch wenn ich mich weigerte, könnte es noch schlimmer kommen. Es gibt keinen Zweifel darüber, wer die Macht hat.
    Es muß irgend etwas geben, was er von mir will. Wollen bedeutet, eine Schwäche haben. Diese Schwäche, welcher Art sie auch immer ist, reizt mich. Sie ist wie ein kleiner Riß in einer Mauer, die bisher undurchdringlich war. Wenn ich mein Auge darauf richte, auf diese seine Schwäche, gelingt es mir vielleicht, meinen Weg deutlich vor mir zu sehen.
    Ich möchte wissen, was er will.
    Ich hebe die Hand, klopfe an die Tür seines verbotenen Zimmers, in dem ich noch nie gewesen bin, in das Frauen nicht gehen. Nicht einmal Serena Joy hat hier Zugang, und geputzt wird von Wächtern. Welche Geheimnisse, welche männlichen Totems werden hier drinnen verborgen gehalten?
    Ich werde aufgefordert, einzutreten. Ich öffne die Tür, trete ein.
     
    Auf der anderen Seite der Tür: normales Leben. Ich sollte vielmehr sagen: Was auf der anderen Seite ist, sieht wie normales Leben aus. Da ist ein Schreibtisch, natürlich, mit einem Compusprech darauf, und einem schwarzen Ledersessel dahinter. Auf dem Schreibtisch eine Topfblume, ein Schreibset, Papiere. Ein Orientteppich liegt auf dem Fußboden, und es gibt einen Kamin, in dem kein Feuer brennt. Ein kleines Sofa, mit braunem Plüsch bezogen, ein Fernsehgerät, einen Beistelltisch, ein paar Stühle.
    Aber ringsum an den Wänden stehen Bücherregale. Sie sind voller Bücher. Bücher, Bücher, Bücher, offen sichtbar, keine Schlösser, keine Schränke. Kein Wunder, daß wir nicht hier hereindürfen. Es ist eine Oase des Verbotenen. Ich versuche, nicht hinzustarren.
    Der Kommandant steht vor dem feuerlosen Kamin, mit dem Rücken zur Feuerstelle, den einen Ellbogen auf dem holzgeschnitzten Aufsatz, die andere Hand in der Tasche. Es ist eine so einstudierte Pose, sie hat etwas Gutsbesitzerhaftes, etwas verstaubt Dandyhaftes aus einem Herrenmagazin. Er hat wahrscheinlich schon im voraus beschlossen, so dazustehen, wenn ich hereinkomme. Als ich klopfte, ist er wahrscheinlich zum Kamin hinübergestürzt und hat sich dort aufgebaut. Er sollte eine schwarze Binde über dem einen Auge tragen und eine Halsbinde mit Hufeisen darauf.
    Es ist gut und schön, all das zu denken, schnell und stakkatohaft, ein Zucken des Gehirns. Ein inneres Hohnlachen. Aber es ist Panik. Tatsächlich bin ich zu Tode erschrocken.
    Ich sage nichts.
    »Mach die Tür hinter dir zu«, sagt er, nicht unfreundlich. Ich tue es und drehe mich wieder um.
    »Hallo«, sagt er.
    Der alte Gruß. Ich habe ihn lange nicht gehört, seit Jahren nicht. Unter den Umständen hier wirkt er fehl am Platze, sogar komisch, ein zeitlicher Sprung zurück, ein Trick. Mir fällt absolut keine passende Erwiderung ein.
    Ich habe das Gefühl, daß ich in Tränen ausbrechen werde.
    Er muß es bemerkt haben, denn er schaut mich an, verwirrt, runzelt die Stirn ein wenig, was ich als Besorgnis zu interpretieren beschließe, obwohl es vielleicht nur Gereiztheit ist. »Hier«, sagt er. »Du kannst dich setzen.« Er zieht einen Stuhl für mich heran, stellt ihn vor seinen Schreibtisch. Dann geht er um den Schreibtisch herum und setzt sich, langsam, und wie mir scheint umständlich. Der Vorgang zeigt mir, daß er mich nicht hierherholen ließ, um mich in irgendeiner Form gegen meinen Willen zu berühren. Er lächelt. Das Lächeln ist weder finster noch raubtierhaft. Es ist einfach nur ein Lächeln, ein formelles Lächeln, freundlich, aber ein wenig distanziert, als wäre ich ein junges Kätzchen auf einem Fenstersims. Das er betrachtet, aber nicht zu kaufen beabsichtigt.
    Ich sitze kerzengerade auf dem Stuhl, die Hände im Schoß gefaltet. Ich habe das Gefühl, als berührten meine Füße in ihren flachen roten Schuhen nicht ganz den Boden. Aber sie tun es

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