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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Alptraum. Du hast es so schwer. Und all das hatte sie tatsächlich geglaubt, denn wie hätte sie sonst weiterleben können? Sie war sehr gewöhnlich unter ihrer Schönheit. Sie glaubte an die Anständigkeit, sie war nett zu dem jüdischen Dienstmädchen, oder doch einigermaßen nett, netter als sie hätte sein müssen.
    Ein paar Tage, nachdem das Gespräch mit ihr aufgenommen worden war, brachte sie sich um. Das wurde in der Fernsehsendung mitgeteilt.
    Keiner fragte sie, ob sie ihn geliebt hatte oder nicht.
    Das, woran ich mich jetzt am deutlichsten erinnere, ist das Make-up.
     
    Ich stehe auf, im Dunkeln, und knüpfe mein Kleid auf. Da höre ich etwas, in meinem Körper. Ich bin zerbrochen, etwas ist gesprungen – das muß es sein. Ein Geräusch dringt herauf, dringt heraus, aus der zerbrochenen Stelle, in mein Gesicht. Völlig unerwartet: ich habe weder an hier noch an dort noch an irgend etwas gedacht. Wenn ich das Geräusch herauslasse, in die Luft, wird Gelächter daraus, zu laut und zu lange, und irgend jemand wird es hören, und dann werden eilige Schritte kommen und Befehle und wer weiß was noch? Urteil: Emotionen, der Gelegenheit unangemessen. Die wandelnde Gebärmutter, pflegten sie zu denken. Hysterie. Und dann eine Nadel, eine Tablette. Sie könnte tödlich sein.
    Ich presse beide Hände vor den Mund, als wäre ich drauf und dran, mich zu übergeben. Ich falle auf die Knie. Das Lachen brodelt wie Lava in meinem Hals. Ich krieche in den Schrank, ziehe die Knie an, ich werde noch daran ersticken. Meine Rippen schmerzen, ich kann mich nicht halten vor Lachen, es schüttelt mich, ich bäume mich auf, ein Erdbeben, ein Vulkan, es wird mich zerreißen. Rot das Innere des Schrankes, Gelächter reimt sich auf Schlächter, oh, an Lachen zu sterben.
    Ich ersticke es in den Falten des im Schrank hängenden Umhangs, ich presse meine Augen, aus denen Tränen fallen, fest zusammen. Versuche mich zu fassen.
    Nach einer Weile vergeht es wie ein epileptischer Anfall. Da sitze ich nun im Wandschrank. Hirundo maleficis evoltat. Ich kann es in der Dunkelheit nicht sehen, aber ich fahre mit den Fingerspitzen die winzige eingekratzte Schrift nach, als wäre es eine Mitteilung in Blindenschrift. Es klingt in meinem Kopf jetzt weniger wie ein Gebet, sondern mehr wie ein Befehl. Doch was tun? Nutzlos für mich, so oder so. Eine uralte Hieroglyphe, zu der der Schlüssel verloren ist. Warum hat sie es geschrieben, warum hat sie sich die Mühe gemacht? Kein Weg führt hier heraus.
    Ich liege auf dem Boden, ich atme zu schnell, dann langsamer, ich versuche gleichmäßig zu atmen, wie bei den Vorübungen für die Geburt. Jetzt höre ich nur noch den Laut meines eigenen Herzens, das sich öffnet und schließt, öffnet und schließt, öffnet.
     

X
Seelenrollen

Kapitel fünfundzwanzig
    Als erstes hörte ich am nächsten Morgen einen Schrei und ein Krachen: Cora, die das Frühstückstablett hatte fallen lassen. Ich wachte davon auf. Ich lag immer noch halb im Schrank, den Kopf auf dem zusammengedrückten Umhang. Ich mußte ihn vom Bügel gezogen haben und darauf eingeschlafen sein. Einen Augenblick lang wußte ich nicht, wo ich war. Cora kniete neben mir, ich spürte, wie ihre Hand meinen Rücken berührte. Als ich mich bewegte, schrie sie wieder auf.
    Was ist? fragte ich. Ich drehte mich um und setzte mich auf.
    Oh, sagte sie. Ich dachte.
    Was dachte sie?
    Wie… sagte sie.
    Das Ei lag zerbrochen auf dem Fußboden, zwischen Orangensaft und Glasscherben.
    Ich werde ein neues holen müssen, sagte sie. So eine Verschwendung. Was machst du denn da auf dem Fußboden? Sie zog und zerrte an mir, um mich aufzurichten und anständig auf die Füße zu bekommen.
    Ich wollte ihr nicht erzählen, daß ich überhaupt nicht im Bett gewesen war. Es gab keine Möglichkeit, es ihr zu erklären. Ich sagte ihr, ich müsse wohl ohnmächtig geworden sein. Aber das war fast genauso schlimm, sie griff es sofort auf.
    Das ist eins der frühen Anzeichen, sagte sie erfreut. Das und Erbrechen. Sie hätte wissen müssen, daß noch gar nicht genügend Zeit verstrichen war; aber sie war nun einmal sehr hoffnungsvoll.
    Nein, das ist es nicht, sagte ich. Ich saß auf dem Stuhl. Das ist es bestimmt nicht. Mir war nur schwindlig. Ich stand einfach nur da, und plötzlich war alles dunkel.
    Das muß die Anstrengung gewesen sein, sagte sie, von gestern und alles. Das macht dich fertig.
    Sie meinte die Geburt, und ich stimmte zu. Inzwischen saß ich auf dem Stuhl, und

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