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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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aber ich wollte haben, was ich kriegen konnte.
    »Ein bißchen was?« fragte er, höflich wie immer. Er saß auf der anderen Seite des Schreibtischs. Er berührte mich nicht viel, von dem obligatorischen Kuß einmal abgesehen. Kein Betatschen, kein schweres Atmen, nichts dergleichen; es wäre irgendwie deplaziert gewesen, für ihn ebenso wie für mich.
    Handlotion, sagte ich. Oder Gesichtslotion. Unsere Haut wird sehr trocken. Aus irgendeinem Grund sagte ich unsere statt meine. Ich hätte auch gern um etwas Badeöl gebeten, in diesen kleinen bunten Kügelchen, die man früher kaufen konnte und die mir wie Zauberkugeln vorkamen, daheim, in der runden Glasschale im Badezimmer meiner Mutter. Aber ich dachte, er wüßte vielleicht nicht, was das war. Und wahrscheinlich wurden sie auch längst nicht mehr hergestellt.
    Trocken? fragte der Kommandant, als hätte er noch niemals darüber nachgedacht. Was tut ihr dagegen?
    Wir nehmen Butter, sagte ich. Wenn wir welche kriegen. Oder Margarine. Sehr oft ist es Margarine.
    Butter, sagte er nachdenklich. Sehr schlau. Butter! Er lachte.
    Ich hätte ihn ohrfeigen können.
    Ich glaube, ich könnte so etwas bekommen, sagte er, als ginge es darum, einem Kind den Wunsch nach Bubble Gum zu gewähren. Aber meine Frau könnte es riechen.
    Ich fragte mich, ob diese Angst aus einer Erfahrung der Vergangenheit kam. Einer lange zurückliegenden Vergangenheit: Lippenstift am Kragen, Parfüm an den Manschetten, eine Szene spät in der Nacht, in irgendeiner Küche oder einem Schlafzimmer. Ein Mann, der solche Erfahrungen nicht gemacht hat, würde daran nicht denken. Es sei denn, er ist raffinierter als er aussieht.
    Ich würde aufpassen, sagte ich. Außerdem kommt sie nie so nahe an mich heran.
    Manchmal doch, sagte er.
    Ich senkte die Augen. Daran hatte ich nicht gedacht. Ich spürte, wie ich errötete. An diesen Abenden werde ich es dann eben nicht benutzen, sagte ich.
    Am vierten Abend gab er mir die Handlotion, in einem Plastikfläschchen ohne Etikett. Es war keine sehr gute Qualität; sie roch schwach nach Salatöl. Kein Maiglöckchenduft für mich. Vielleicht war es eine Lotion, die zum Gebrauch in Krankenhäusern hergestellt wurde, für Patienten, die sich wundgelegen hatten. Aber ich bedankte mich trotzdem bei ihm.
    Das Problem ist, sagte ich, daß ich nichts habe, wo ich so etwas aufbewahren kann.
    In deinem Zimmer, sagte er, als läge das auf der Hand.
    Sie würden es dort finden, sagte ich. Irgend jemand würde es finden.
    Warum? fragte er, als wüßte er es wirklich nicht. Vielleicht wußte er es nicht. Es wäre nicht der erste Beweis dafür gewesen, daß er die wahren Bedingungen, unter denen wir lebten, nicht kannte.
    Sie suchen, sagte ich. Sie durchsuchen alle unsere Zimmer.
    Wonach? sagte er.
    Ich glaube, an dieser Stelle verlor ich ein wenig die Beherrschung. Nach Rasierklingen, sagte ich. Nach Büchern, Schreibzeug, Schwarzmarktkäufen. Nach all den Dingen, die wir nicht haben dürfen. Mein Gott, Sie müßten das doch wissen. Meine Stimme war ärgerlicher, als ich beabsichtigt hatte, aber er zuckte nicht einmal mit der Wimper.
    Dann wirst du es hier aufbewahren müssen, sagte er.
    Und das tat ich.
    Er sah mir zu, wie ich es mir über die Hände strich und dann über mein Gesicht – mit dem gleichen Ausdruck, mit dem man durch die Gitterstäbe eines Käfigs blickt. Ich hätte ihm gern den Rücken zugekehrt – es war, als wäre er mit mir zusammen im Badezimmer – , wagte es aber nicht.
    Für ihn, das darf ich nicht vergessen, bin ich nur eine Laune.
     

Kapitel sechsundzwanzig
    Als zwei oder drei Wochen später der Abend der Zeremonie wieder herannahte, merkte ich, daß sich etwas geändert hatte. Jetzt herrschte eine Verlegenheit, die es zuvor nicht gegeben hatte. Früher hatte ich es als eine Pflicht betrachtet, eine unerfreuliche Pflicht, die man am besten so schnell wie möglich vollzog, damit man sie hinter sich hatte. Beiß die Zähne zusammen, pflegte meine Mutter vor Prüfungen zu sagen, die mir bevorstanden, oder ehe ich zum Schwimmen ins kalte Wasser ging. Damals hatte ich nie weiter darüber nachgedacht, was dieser Satz bedeutete, aber er hatte etwas damit zu tun, daß ich mich wappnen sollte, und das tat ich, ich biß die Zähne zusammen.
    Ich tat so, als wäre ich nicht da, nicht leibhaftig.
    Dieser Zustand der Abwesenheit, des Existierens außerhalb des eigenen Körpers, hatte auch für den Kommandanten gegolten, das wußte ich jetzt. Vermutlich dachte er die

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