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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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ganze Zeit an andere Dinge, während er mit mir zusammen war – mit uns, denn natürlich war Serena Joy an diesen Abenden immer dabei. Vielleicht hatte er darüber nachgedacht, was er tagsüber tat, oder über das Golfspiel, oder darüber, was er zum Abendessen gegessen hatte. Der Geschlechtsakt, den er mechanisch vollzog, muß für ihn weitgehend ein unbewußter Vorgang gewesen sein – so wie wenn er sich gekratzt hätte.
    Aber an diesem Abend, dem ersten seit Beginn dieser neuen Übereinkunft zwischen uns – wie immer sie geartet war, ich hatte keinen Namen dafür – , fühlte ich mich ihm gegenüber gehemmt. Zum einen spürte ich, daß er mich tatsächlich ansah, und das gefiel mir nicht. Das Licht war an, wie gewöhnlich, denn Serena Joy vermied stets alles, was die Andeutung einer romantischen oder erotischen Atmosphäre hätte schaffen können: Deckenbeleuchtung, hart, unbarmherzig, trotz des Baldachins. Es war, als läge ich auf einem Operationstisch, im gleißenden Licht, als wäre ich auf einer Bühne. Mir war bewußt, daß meine Beine behaart waren, struppig wie Beine, die früher einmal rasiert worden und deren Haare wieder nachgewachsen sind. Ich war mir auch meiner Achselhöhlen bewußt, obwohl er sie natürlich nicht sehen konnte. Ich kam mir plump vor. Der Akt der Paarung, der Befruchtung vielleicht, der nicht mehr für mich hätte sein dürfen als eine Biene für eine Blume, war für mich etwas Unschickliches geworden, ein peinlicher Verstoß gegen Sitte und Anstand, und das war er vorher nicht gewesen.
    Der Kommandant war für mich keine Sache mehr. Das war das Problem. Ich erkannte es an jenem Abend, und diese Erkenntnis ist mir geblieben. Sie macht alles komplizierter.
    Auch Serena Joy hatte sich für mich verändert. Früher hatte ich sie nur gehaßt, für ihren Anteil an dem, was mir angetan wurde – und weil sie auch mich haßte und mir meine Anwesenheit übelnahm, und weil sie diejenige war, die mein Kind aufziehen würde, falls ich schließlich doch imstande wäre, eines zu bekommen. Jetzt haßte ich sie zwar immer noch, und zwar am meisten, wenn sie meine Hände so fest packte, daß ihre Ringe sich in meine Finger einschnitten, und dabei meine Hände auch noch nach hinten riß, was sie bestimmt absichtlich tat, um es mir so unbequem wie nur möglich zu machen, doch war der Haß jetzt nicht mehr rein und einfach. Ich war bis zu einem gewissen Grade eifersüchtig auf sie. Aber wie konnte ich auf eine Frau eifersüchtig sein, die so offenkundig ausgetrocknet und unglücklich war? Man kann nur auf jemanden eifersüchtig sein, der etwas besitzt, wovon man glaubt, daß man es selber besitzen sollte. Trotzdem war ich eifersüchtig.
    Aber ich hatte ihr gegenüber auch Schuldgefühle. Ich kam mir wie ein Eindringling vor auf einem Gebiet, das von Rechts wegen ihres war. Jetzt, da ich mich heimlich mit dem Kommandanten traf, wenn auch nur, um seine Spiele mit ihm zu spielen und ihm zuzuhören, wenn er sprach, waren unsere Funktionen nicht mehr so klar getrennt, wie sie es theoretisch hätten sein sollen. Ich nahm ihr etwas weg, auch wenn sie es nicht wußte. Ich stahl ihr etwas. Auch wenn es etwas war, was sie offenbar nicht wollte oder wofür sie keine Verwendung hatte, was sie sogar zurückgewiesen hatte. Trotzdem, es gehörte ihr, und wenn ich es ihr fortnahm, dieses mysteriöse »es«, das ich nicht recht definieren konnte – denn der Kommandant liebte mich nicht, ich weigerte mich zu glauben, daß er etwas so Extremes für mich empfand – , was bliebe ihr dann noch?
    Warum sollte ich mir Gedanken darüber machen? sagte ich mir. Sie bedeutet mir nichts, sie mag mich nicht, sie würde mich binnen einer Minute aus dem Haus werfen oder Schlimmeres, wenn ihr nur ein Grund einfiele. Wenn sie es herausfände, zum Beispiel. Er würde gar nicht in der Lage sein, einzugreifen, um mich zu retten; die Übertretungen der Frauen im Hauswesen, ob Martha oder Magd, unterliegen allein der Zuständigkeit der Ehefrauen. Sie war eine boshafte und rachsüchtige Frau, das wußte ich. Und doch konnte ich diese kleinen Gewissensbisse ihr gegenüber nicht einfach abschütteln.
    Und außerdem: ich hatte jetzt Macht über sie, in gewisser Weise, auch wenn sie es nicht wußte. Und das genoß ich. Warum sollte ich es verheimlichen? Ich genoß es ungemein.
    Dabei konnte der Kommandant mich so leicht verraten, durch einen Blick, eine Geste, einen winzigen Ausrutscher, der jedem Zuschauer offenbarte, daß zwischen uns

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