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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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wartete. Nachdem ich sie durchgeblättert hatte, warf ich sie fort, denn sie waren unbegrenzt fortwerfbar, und einen oder zwei Tage später wußte ich nicht mehr, was darin gestanden hatte.
    Doch jetzt erinnerte ich mich daran. Versprechungen standen darin. Sie befaßten sich mit Verwandlungen; sie verhießen eine endlose Abfolge von Möglichkeiten, die sich wie Bilder in zwei einander gegenüberstehenden Spiegeln wiederholten und immer weiter ausdehnten, Ebenbild um Ebenbild, bis zum Punkt ihrer Auflösung. Sie versprachen ein Abenteuer nach dem andern, eine Garderobe nach der andern, eine Verbesserung nach der andern, einen Mann nach dem andern. Sie versprachen Verjüngung, überwundenen und transzendierten Schmerz, endlose Liebe. Das eigentliche Versprechen in ihnen war Unsterblichkeit.
    Das war es, was er in der Hand hielt, ohne es zu wissen. Er blätterte die Seiten halb auf. Ich spürte, wie ich mich nach vorn beugte.
    Sie ist alt, sagte er, eine Art Kuriosum. Aus den siebziger Jahren, glaube ich. Eine Vogue. Dies wie ein Weinkenner, der einen Namen fallenläßt. Ich dachte, du hast vielleicht Lust, einen Blick hineinzuwerfen.
    Ich zögerte. Vielleicht wollte er mich testen, wollte sehen, wie tief die Indoktrinierung bei mir wirklich reichte. Das ist nicht erlaubt, sagte ich.
    Hier drinnen wohl, sagte er mit ruhiger Stimme. Ich verstand, was er meinte. Ich hatte das Haupttabu gebrochen, warum sollte ich dann vor einem weiteren, einem geringeren zurückschrecken? Und vor einem weiteren und noch einem – wer konnte schon sagen, wo es aufhören würde? Hinter dieser speziellen Tür lösten sich alle Tabus auf.
    Ich nahm die Zeitschrift von ihm entgegen und drehte sie herum. Da waren sie wieder, die Bilder meiner Kindheit: kühn, schwungvoll, selbstbewußt, die Arme nach außen geworfen, wie um Raum zu fordern, die Beine auseinander, die Füße fest auf der Erde. Ein Hauch von Renaissance umgab diese Pose, aber ich mußte dabei an Prinzen denken, nicht an Jungfrauen mit Hauben und Löckchen. Diese unschuldigen Augen, zwar mit Make-up beschattet, gewiß, doch wie die Augen von Katzen, die zum Sprung ansetzen. Kein Zagen, kein Sich-Anklammern, nicht in diesen Capes und groben Tweed-Stoffen, diesen Stiefeln, die bis an die Knie reichten. Piraten, diese Frauen, mit ihren damenhaften Aktentaschen für die Beute und ihren raubgierigen Pferdezähnen.
    Ich spürte, wie der Kommandant mich beobachtete, während ich die Seiten umschlug. Ich wußte, daß ich etwas tat, was ich besser nicht getan hätte, und daß er Vergnügen daran fand, mir dabei zuzusehen. Ich hätte mir böse vorkommen müssen – nach Tante Lydias Erkenntnissen war ich böse. Aber ich kam mir nicht böse vor. Ich kam mir vielmehr vor wie auf einer alten anzüglichen Ansichtskarte vom Meer: unanständig. Was würde er mir als nächstes geben? Einen Strumpfbandgürtel?
    Wieso haben Sie so etwas? fragte ich ihn.
    Manche von uns, sagte er, haben sich eine gewisse Vorliebe für die alten Dinge erhalten.
    Aber diese Sachen sollten doch alle verbrannt werden, sagte ich. Es gab Hausdurchsuchungen, Bücherverbrennungen…
    Was in den Händen der Massen gefährlich ist, sagte er, vielleicht mit einer Spur Ironie, ist absolut ungefährlich für diejenigen, deren Motive…
    …über allen Tadel erhaben sind, sagte ich.
    Er nickte ernst. Es war nicht festzustellen, ob er es wirklich meinte oder nicht.
    Aber warum zeigen Sie es mir? sagte ich, und dann kam ich mir dumm vor. Was konnte er darauf schon sagen? Daß er sich auf meine Kosten amüsierte? Denn er mußte wissen, wie schmerzlich es für mich war, an die alten Zeiten erinnert zu werden.
    Ich war nicht vorbereitet auf das, was er wirklich sagte. Wem könnte ich es sonst zeigen? sagte er. Und da war sie wieder, diese Traurigkeit.
    Sollte ich noch weiter gehen? überlegte ich. Schließlich wollte ich ihn nicht drängen, nicht zu weit, zu schnell. Ich wußte, daß ich entbehrlich war. Trotzdem sagte ich mit zu sanfter Stimme: Vielleicht Ihrer Frau?
    Er schien darüber nachzudenken. Nein, sagte er. Sie würde das nicht verstehen. Sie redet sowieso nicht mehr viel mit mir im Augenblick. Wir scheinen zur Zeit nicht mehr viel gemeinsam zu haben.
    Jetzt war es heraus, lag offen zutage: Seine Frau verstand ihn nicht.
    Dafür war ich also da. Immer das gleiche alte Lied. Es war zu banal, um wahr zu sein.
     
    In der dritten Nacht bat ich ihn um ein bißchen Handlotion. Ich wollte nicht, daß es so klang, als bettelte ich,

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