Der Report der Magd
lächerlich, geradezu lachhaft, wie Fetischismus für Schnürschuhe.
Auch war es in gewisser Weise eine Enttäuschung gewesen. Was hatte ich das erste Mal hinter der verschlossenen Tür erwartet? Etwas Unaussprechliches: auf allen vieren vielleicht, Perversionen, Peitschen, Verstümmelungen? Zu allermindest eine kleinere sexuelle Manipulation, irgendeine der Vergangenheit angehörende harmlose Sünde, die ihm jetzt verwehrt war, vom Gesetz verboten und mit Amputation bestraft. Statt dessen aufgefordert zu werden, Scrabble zu spielen, als wären wir ein altes Ehepaar oder zwei Kinder, schien mir extrem schrullig – und zugleich eine Verletzung eigener Art. Als Bitte von ihm war es unverständlich.
Als ich das Zimmer verließ, war mir deshalb immer noch nicht klar, was er wollte, oder warum, oder ob ich irgendeinen seiner Wünsche würde erfüllen können. Wenn ein Handel stattfinden soll, müssen die Tauschbedingungen auf den Tisch gelegt werden. Das jedoch hatte er eindeutig nicht getan. Ich glaubte, er spiele vielleicht ein Spielchen, irgendeine Katz-und-Maus-Nummer, aber jetzt glaube ich, daß seine Motive und Wünsche nicht einmal ihm selbst klar waren. Sie waren noch nicht bis zu der Ebene der Worte vorgedrungen.
Der zweite Abend begann auf die gleiche Art wie der erste. Ich ging zur Tür, die geschlossen war, klopfte, wurde aufgefordert einzutreten. Es folgten die gleichen beiden Spiele mit den glatten beigefarbenen Spielmarken. Prolog, Quarz, Quanten, Sylphe, Rhythmus – all die alten Tricks mit den Konsonanten, die ich mir einfallen ließ oder an die ich mich wieder erinnern konnte. Meine Zunge fühlte sich vor lauter Anstrengung beim Buchstabieren pelzig an. Es war, als benutzte ich eine Sprache, die ich einmal beherrscht, inzwischen aber nahezu vergessen hatte, eine Sprache, die mit Gebräuchen zu tun hatte, die schon vor langer Zeit aus der Welt verschwunden waren: caf é au lait an einem Tischchen im Freien, mit einer Brioche, Absinth in einem hohen Glas, oder Krabben in einer aus Zeitungen gefalteten spitzen Tüte, Dinge, von denen ich einst gelesen, die ich aber nie gesehen hatte. Es war wie der Versuch, ohne Krücken zu gehen, wie die rührseligen Szenen in alten Fernsehfilmen. Du schaffst es. Ich weiß, daß du es schaffst. So torkelten und stolperten meine Gedanken zwischen scharfen r's und t's und schlidderten über die eiförmigen Vokale wie über Kieselsteine.
Der Kommandant war geduldig, wenn ich zögerte oder ihn nach der richtigen Schreibweise fragte. Wir können ja im Wörterbuch nachschauen, sagte er. Er sagte wir. Das erste Mal, so wurde mir jetzt klar, hatte er mich absichtlich gewinnen lassen.
Ich erwartete an diesem Abend, daß alles genauso sein würde, den Gutenacht-Kuß eingeschlossen. Aber als wir das zweite Spiel beendet hatten, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück. Er legte die Ellbogen auf die Armlehnen des Stuhls, die Fingerspitzen aneinander und sah mich an.
Ich habe ein kleines Geschenk für dich, sagte er.
Er lächelte ein wenig. Dann zog er die oberste Schreibtischschublade auf und nahm etwas heraus. Er hielt es einen Augenblick in der Hand, eher beiläufig, zwischen Daumen und Zeigefinger, als entscheide er, ob er es mir geben sollte oder nicht. Obwohl es aus meiner Perspektive verkehrtherum war, erkannte ich, was es war. Einst waren sie ziemlich bekannt gewesen. Es war eine Zeitschrift, eine Frauenzeitschrift dem Titelbild nach, ein Mannequin auf Hochglanzpapier, die Haare im Wind, ein Schal um den Hals, Lippenstiftmund – die Herbstmode. Ich hatte geglaubt, alle diese Zeitschriften seien vernichtet worden, aber hier war eine übrig geblieben, im privaten Arbeitszimmer eines Kommandanten, wo man dergleichen am wenigsten erwartete. Er schaute auf das Mannequin hinunter – für ihn war es richtig herum – und lächelte immer noch sein sehnsüchtiges Lächeln. Es war ein Blick, mit dem man ein fast ausgestorbenes Tier im Zoo betrachten würde.
Ich starrte auf die Zeitschrift, die wie ein Fischköder vor mir baumelte. Ich wollte sie haben. Ich wollte sie mit einer Kraft, die meine Fingerspitzen schmerzen ließ. Gleichzeitig empfand ich dieses Bedürfnis als trivial und absurd, denn früher hatte ich solche Zeitschriften nicht weiter ernst genommen. Ich hatte sie beim Zahnarzt im Wartezimmer gelesen und manchmal im Flugzeug; ich hatte sie gekauft, um sie mit ins Hotel zu nehmen, damit ich etwas hatte, womit ich die Zeit totschlagen konnte, wenn ich auf Luke
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